© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Weiter wehren nach der Niederlage
AfD ist „Verdachtsfall“: Im Rechtsstreit mit dem Verfassungsschutz unterliegt die Partei in erster Instanz
Christian Vollradt

Enttäuschung auf der einen, Jubel auf der anderen Seite. Nach einer stundenlangen Verhandlung vor dem Kölner Verwaltungsgericht stand am Dienstag abend vergangener Woche fest: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) darf die AfD als sogenannten Verdachtsfall einstufen. Es seien ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei vorhanden, urteilten die Richter und folgten damit im wesentlichen der Linie des Verfassungsschutzes. 

Bereits im März vergangenen Jahres hatte der diese Einstufung vorgenommen, doch das Gericht untersagte der Behörde aufgrund eines erfolgreichen Eilantrags der AfD zunächst, dies öffentlich zu machen und die Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu überwachen. Auch „aus Respekt vor dem Wähler“ vertagten die Richter ihre Entscheidung auf die Zeit nach der Bundestagswahl. Dieser Zeitpunkt war nun gekommen. Eines der entscheidenden Indizien für verfassungsfeindliche Bestrebungen in der AfD sei demnach ein ausschließlich ethnisch verstandener Volksbegriff, der mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei (siehe Seite 3). 

„Der bürgerliche Deckmantel ist obsolet“

„Uns hat das Urteil zur Einstufung als Verdachtsfall überrascht. Wir teilen die Auffassung des Kölner Verwaltungsgerichts nicht. Wir hatten uns ein anderes Ergebnis erhofft“, äußerte sich der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla unverhohlen enttäuscht unmittelbar nach der Entscheidung. Immerhin einen Teilerfolg konnten die Anwälte der Partei verbuchen: Das Gericht gab ihrer Klage gegen die Einstufung des ehemaligen „Flügels“ als „gesichert extremistische Bestrebung“ statt. So sei die Bewertung als Verdachtsfall zwar gerechtfertigt. Nach der Auflösung des „Flügels“ sei eine darüber hinausgehende Einstufung jedoch unzulässig, urteilten die Richter. Denn aufgrund der vom Inlandsgeheimdienst vorgelegten Quellen sei ungewiß, ob der „Flügel“ als parteiinterner Zusammenschluß noch existiere. Daher darf der Verfassungsschutz auch nicht mehr öffentlich mitteilen, die Organisation sei als eine „gesichert extremistische Bestrebung“ eingestuft worden. 

In einer weiteren Klage gab das Verwaltungsgericht der Partei ebenfalls recht und untersagte dem Verfassungsschutz, öffentlich zu behaupten, der „Flügel“ habe 7.000 Mitglieder. Schon während der Verhandlung hatte der Vorsitzende Richter durchblicken lassen, daß er die Argumentation des BfV-Anwalts für wenig stichhaltig hielt. Doch für manche in der Partei hat dieser kleine Erfolg angesichts der größeren Niederlage einen schalen Beigeschmack nach Pyrrhussieg: Die Gesamtpartei und der – aufgelöste – Flügel rangieren nun auf einer Stufe. Das sei in Wahrheit das denkbar schlechteste Ergebnis, meint ein AfD-Funktionär hinter vorgehaltener Hand.

Erkennbar erfreut über das Urteil zeigte sich nachvollziehbarerweise der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang. Es sei „sehr wichtig, daß das Gericht sich unserer Auffassung angeschlossen hat“, wonach die AfD „eine Partei mit starken rechtsextremistischen Strömungen“ sei, meinte er am Mittwoch vergangener Woche im ZDF. Zunächst werde seine Behörde die schriftlichen Urteilsgründe abwarten, dann ihr „nachrichtendienstliches Instrumentarium einsetzen“.

Und auch bei der politischen Konkurrenz einhelliges Lob für den Richterspruch. Die gesamte AfD sei „geprägt von verfassungsfeindlichem, demokratiegefährdendem und rassistischem Gedankengut“, bekräftigte der innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Hartmann. „Durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln kann die AfD nachrichtendienstlich beobachtet werden. Dies ist notwendig und Ausdruck der Wehrhaftigkeit unserer Demokratie.“ Von einem „guten Tag für unsere Demokratie“ sprach seine grüne Kollegin Lamya Kaddor. „Der bürgerliche Deckmantel, den die Partei sich gegeben hat, ist damit obsolet“, so ihre Schlußfolgerung. Nun bleibe abzuwarten, „welche weiteren Auswirkungen das Urteil für Fragen im parlamentarischen Umgang als auch möglicherweise für Beamt*innen haben wird“.

Für den stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Konstantin Kuhle ist die Beobachtung der AfD eine „handfeste Frage der inneren Sicherheit“. Auch die Union erkennt im Urteil einen Beweis dafür, daß die Demokratie „wehrhaft gegen Verfassungsfeinde“ sei, so die tellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz.

Die AfD selbst betonte, man werde nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung über das weitere Vorgehen entscheiden. Sicherlich werde sich die Partei „auch juristisch weiter wehren“, bekräftigte Bundesvorstandsmitglied Alexander Wolf gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Wir haben die erste Instanz verloren. Berufung ist zugelassen.“ Der nächste Schritt sei der zum Oberverwaltungsgericht – „und notfalls geht es auch danach noch weiter.“ Am Ende gewinne „den Marathonlauf derjenige, der den längeren Atem hat“, so Wolf, der die frühere parteiinterne „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ geleitet hatte.

In einer internen Rundmail an die Parteimitglieder wandte sich der Vorstand auch noch einmal gezielt an „Beamte, Richter, Soldaten und Polizisten sowie andere Angestellte im öffentlichen Dienst. Sie müßten wegen einer Verdachtsfalleinstufung der AfD „weder die Entlassung aus dem Dienst noch eine Gefährdung ihrer Pensionsansprüche befürchten – wenn sie innerhalb unserer Partei, wie die anderen Mitglieder auch, nachweisbar für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten“. Die Sorge, mancher aus diesen Berufsgruppen könnte in Panik geraten und seine Mitgliedschaft kündigen, geht offenbar um. 

Mit einer größeren Austrittswelle rechnet unterdessen in führenden Parteikreisen keiner. Wobei mancher eher resigniert einwendet: „Viele von denen, die das nun betreffen könnte, haben die AfD doch schon längst verlassen.“ Längst habe man sich in der Nische der Ausgeschlossenen eingerichtet, räumt ein Parlamentarier ein. Dabei sei man ursprünglich angetreten, um Einfluß zu nehmen, „dafür sehe ich leider kaum noch eine Perspektive“. 

Thüringens Partei- und Fraktionschef Björn Höcke, der im als geheim eingestuften Gutachten des BfV mit am häufigsten genannt wird, empfahl unterdessen via Facebook seinen Parteifreunden, einer Beobachtung „mit Gelassenheit“ entgegenzusehen. Der „sogenannte ‘Verfassungsschutz’“ sei „kein ernstzunehmender Gradmesser mehr für die Grundgesetztreue einer Partei“, sondern ein „Propagandainstrument“, um dem „Wähler die Furcht in die Glieder zu jagen“. Diese Behörde, so Höcke, schütze „weder Volk noch Verfassung, sondern einzig die Interessen der Mächtigen im Land“. 

Sein Hamburger Parteikollege Wolf betont indes, die AfD sei für die „Altparteien“ gerade dann nicht gefährlich, „wenn wir möglichst lautstark mit der Keule um uns schlagen und Fundamentalopposition betreiben“. Die Konkurrenz hoffe ja geradezu darauf, „daß sich die Bürgerlich-Gemäßigten geschwächt sehen, viele von ihnen austreten, und daß sich so radikalere Tendenzen in der AfD durchsetzen“. 

Schwerer dürfte es jedoch insbesondere für die Bundestagsfraktion werden, die ohnehin zunehmend isoliert dasteht. Der ihr zustehende Vorsitz im Innenausschuß? Sehr unwahrscheinlich. Und die Aussichten, in dieser Legislaturperiode einen Vizepräsidenten des Bundestags zu stellen, sind mit dem Kölner Urteil eher weiter gesunken. Es sei denn, am kommenden Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage im Sinne der AfD.





Was darf das BfV?

Ist eine Partei ein sogenannter Prüffall, darf der Verfassungsschutz lediglich Informationen aus offen zugänglichen Quellen sammeln und auswerten. Dies können Internetauftritte, öffentliche Äußerungen von Parteimitgliedern, Partei- und Wahlprogramme oder Informationsbroschüren sein. Genauso fallen auch Presseberichte über Veranstaltungen, Interviews oder Fernsehbeiträge darunter. Die nächst höhere Stufe ist der Verdachtsfall. Nun ist der Verfassungsschutz berechtigt, die entsprechende Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten. Das beinhaltet zum Beispiel, daß unter den Mitgliedern sogenannte Vertrauensleute (V-Leute) angeworben werden dürfen, die vertrauliche Informationen aus der Partei liefern. Zudem können Parteimitglieder observiert werden, unter bestimmten Bedingungen dürfen Telefonate oder der E-Mail-Verkehr überwacht werden. Die Maßnahmen unterliegen jedoch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Und: Mandatsträger der Partei, also etwa Landtags- oder Bundestagsabgeordnete dürfen bei Ausübung ihres Mandats nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln abgeschöpft werden. Bestätigt sich ein Verdachtsfall, folgt die höchste Einstufung: als „gesichert extremistische Bestrebung“. Wie schon beim Verdachtsfall dürfen die Verfassungsschützer nachrichtendienstliche Mittel anwenden. Nun liegen allerdings die Hürden für schwerwiegende Eingriffe in die Rechte der Betroffenen niedriger. Als „erwiesen rechtsextremistisches Beobachtungsobjekt“ stuft beispielsweise der Thüringer Verfassungsschutz den dortigen AfD-Landesverband ein. (vo)





„Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“

„Die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie ist der Rechtsextremismus.“ Mit diesen Worten hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag in Berlin den bereits vor längerer Zeit angekündigten „Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“ vorgestellt. Zu den Maßnahmen gehöre, rechtsextremistische Netzwerke zu zerschlagen und vor allem deren Finanzaktivitäten aufzuklären und auszutrocknen. Außerdem werde man Rechtsextreme „entwaffnen“. „Rund 1.500 nachrichtendienstlich als mutmaßliche Rechtsextremisten gespeicherte Personen verfügen über mindestens eine waffenrechtliche Erlaubnis. Das wollen wir ändern.“ Außerdem stehe die „konsequente ganzheitliche Bekämpfung von Haß und Hetze im Internet“ und der Kampf gegen „Desinformation, Verschwörungsideologien und Radikalisierung“ auf der Tagesordnung. Einen besonderen Schwerpunkt legte die Ministerin zudem auf den Schutz von Amts- und Mandatsträgern vor Anfeindungen und Angriffen. So habe sich die Zahl der politisch motivierten Straftaten gegen Kommunalpolitiker in den vergangenen Jahren mehr als verdreifacht. Faeser unterstrich zudem ihre Absicht, das Disziplinarrecht zu verschärfen (JF 11/22), um Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. „Wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen“, betonte die Innenministerin. Bei der Vorstellung des Aktionsplans ergänzte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, zu den „Ideologiegebern aus der neuen Rechten“ könne seine Behörde nun auch die AfD zählen (siehe oben).

Foto: AfD-Chef Tino Chrupalla vor dem Verwaltungsgericht in Köln: „Wer den längeren Atem hat“