© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Am deutschen Genesenenwesen genesen
Corona-Maßnahmen: Immer mehr Verwaltungsgerichte kippen die Status-Verkürzung, doch der Gesundheitsminister beharrt auf seiner Regelung
Jörg Kürschner

Immer mehr Verwaltungsgerichte halten die zunächst vom Robert-Koch-Institut (RKI) nach überstandener Covid-19-Erkrankung verfügte und später von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bestätigte Verkürzung des Genesenenstatus von 180 auf 90 Tage für rechtswidrig. Dieser ist ebenso wie der Impfstatus maßgeblich für Quarantäne- und Einreisevorschriften. Mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof hat erstmals ein Gericht zweiter Instanz im Eilverfahren entschieden, daß es bei sechs Monaten bleibt. Der Beschluß ist noch nicht rechtskräftig und gilt nur für die Antragsteller. Verwaltungsgerichte haben nicht die Kompetenz, Normen als verfassungswidrig zu verwerfen. Mitte Januar hatte das RKI den Status überraschend von sechs auf drei Monate reduziert. Mit dem Omikron-Virus sei das Risiko größer, nach dieser Zeit zu erkranken oder Überträger zu sein, hieß es zur Begründung. Die Festlegung des RKI sei aus wissenschaftlicher Sicht erfolgt, gab Lauterbach der ihm nachgeordneten Behörde Rückendeckung. 

Damit fielen von einem Tag auf den anderen Millionen genesene Personen aus der 2G-Regel heraus, konnten etwa Restaurants nicht mehr besuchen. Die zunächst unbemerkt gebliebene Änderung führte zu einer Vertrauenskrise zwischen der FDP und RKI-Präsident Lothar Wieler. Für zusätzlichen Ärger sorgte die vorübergehende Weitergeltung der alten Frist im Bundestag bei Betreten des Plenarsaals und der Ausschußräume. Als das Dickicht der Corona-Verordnungen kaum noch zu durchschauen war, entzog Lauterbach dem RKI die gerade erst erteilte Regelungsbefugnis. „Über tiefgreifende Entscheidungen wie etwa den Genesenenstatus möchte ich selbst und direkt entscheiden.“ Die Kriterien werden also wieder per Regierungsverordnung geregelt. An der vom RKI verkürzten Dauer hat der SPD-Politiker aber festgehalten. Daß diese in der EU sechs Monate gilt, in der Schweiz gar zwölf Monate, ließ den Minister unbeeindruckt.

Aber die richterliche Gewalt setzte der Exekutive – vorläufige? – Stoppschilder, etwa die Verwaltungsgerichte in Ansbach, Hamburg und Gießen. Als erstes befand das in Osnabrück Anfang Februar, die Dauer des Genesenenstatus habe eine hohe Bedeutung für die Freiheit der Bürger, ein pauschaler Verweis auf RKI-Internetseiten reiche nicht aus. Bedenken hatte auch das Bundesverfassungsgericht in einem weiteren Corona-Verfahren geäußert. „Es bestehen aber jedenfalls Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gewählten gesetzlichen Regelungstechnik.“ 

Diesem Mangel hat der Ressortchef durch den Kompetenzentzug des RKI inzwischen Rechnung getragen. Mißlich könnte aber die Ansicht der Richter sein, für eine Verkürzung des Status mangele es dem RKI an einer wissenschaftlich fundierten Grundlage. Entsprechende Zweifel finden sich auch in dem Anfang März ergangenen Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. „Indem der Verordnungsgeber das RKI jedoch pauschal zu einer Entscheidung lediglich ‘unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft’ ermächtigt, dürfte er dieser Grundrechtsrelevanz nicht hinreichend gerecht geworden sein.“

Letzter Akt im Corona-Wirrwarr: Der verkürzte Genesenenstatus von drei Monaten betrifft laut RKI nur noch „Personen, die ungeimpft sind, das heißt weder vor noch nach ihrer durchgemachten Infektion eine Impfung erhalten haben“.