© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Die Pandemie als Blaupause
Der Volkswirt Moritz Schularick sorgt sich um Schwächen des deutschen Staates in der Phase der Großen Transformation
Felix Dirsch

Moritz Schularicks Studie „Der entzauberte Staat“ analysiert bereits früh die Versäumnisse des deutschen Corona-Managements. Es handelt sich dabei nicht um systematische Erörterungen. Der Autor fügt etliche Texte aneinander, die zu unterschiedlichen Anlässen entstanden sind.

Wie andere Beobachter des Zeitgeschehens will Schularick seine Überlegungen nicht nur auf die Pandemie beziehen, so sehr dieses Geschehen auch Schwächen des deutschen Staatswesens wie in einem Brennspiegel offenlegt. Vielmehr hat er, wie vor allem das abschließende Kapitel belegt, verschiedene Facetten der seit einiger Zeit überall diskutierten „Großen Transformation“ im Blick. Eine Frage mit üblichem besorgten Unterton lautet in diesem Kontext öfter: Kann die öffentliche Hand, die nicht einmal in der Lage ist, ausreichend Lüftungen in Klassenzimmern einzubauen, die viel komplexere Substitution fossiler Energieträger durch erneuerbare bewerkstelligen? Vornehmlich der komplexe ökologische Umbau der Wirtschaft sucht also eine Blaupause. Diese erkennen manche im Umgang mit der epochalen Krise. Schon im Frühjahr 2020 wurde mitunter auf angeblich sinnvolle „Klimalockdowns“ verwiesen.

Zuviel Bürokratie und zuwenig nötige Technologie

Ganz so deutlich wird Schularick dann doch nicht. Er möchte auf Schwachstellen staatlicher Strukturen verweisen. Als kritischer Vertreter des politischen wie medialen Hauptstromes kommt er nicht darum herum, vieles am Regierungshandeln zu loben, etwa das sozialstaatliche Engagement, das der betroffenen einheimischen Bevölkerung schnell unter die Arme gegriffen hat, aber auch die Zustimmung zum europäischen Wiederaufbaufonds. Letztere Einrichtung in seinen Gefahren zu problematisieren, beispielsweise als Katalysator einer weitergehenden Vergemeinschaftung von Schulden, darf man von dem Ökonomen nicht erwarten.

Notwendige Reformen macht der Autor vor allem an zwei Punkten fest: Zuviel Bürokratie und zuwenig nötige Technologie markieren systemische Schwachstellen. Der lange bekannte Rückstand Deutschlands in puncto Digitalisierung hat sich in den letzten zwei Jahren besonders negativ ausgewirkt. Besonders der Vergleich mit einigen Vorreiterstaaten in Asien wie Südkorea zeigt die Unterschiede allzu deutlich. Die Rückverfolgung der Kontakte von Infizierten gelang den dortigen Gesundheitsbehörden fast problemlos. Hierzulande waren sie damit oft überfordert. Zudem erwiesen sich viele Schulen als schlecht ausgerüstet. Wie andere Kritiker macht Schularick die deutsche Neigung, Austeritätspolitik zu bevorzugen, für derartige Versäumnisse hauptsächlich verantwortlich. Die Infrastruktur leidet in der Tat an Unterfinanzierung – auch die konventionelle. Selbst der Föderalismus wird kritisch beäugt. Die offenkundige Fehlallokation von Kapital, etwa die hohen Aufwendungen für Migration, die an anderer Stelle fehlen, werden aber nicht thematisiert, ebensowenig wie die falsche Priorisierung der Mittel für den Konsum statt für zukunftsweisende Investitionen in den „fetten Jahren“ vor 2020.

Für den Verfasser spielt weiter der vermeintliche oder tatsächliche Zielkonflikt zwischen Wirtschaft und Gesundheit eine Rolle. Doch nicht alles, was effizient ist, ist recht. Die Frage der Grundrechte interessiert ihn höchstens peripher, ebenso die Gefahr einer Inflation.

So fällt das Fazit gespalten aus: Einige strukturelle Probleme des Staatswesens werden mit Recht klar aufgezeigt. Ansonsten begrüßt der Autor die problematischen Corona-Maßnahmen im Grunde genommen vorbehaltlos.

Moritz Schularick: Der entzauberte Staat. Was Deutschland aus der Pandemie lernen muß. C.H. Beck, München 2021, broschiert, 140 Seiten, 14 Euro