© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

„Kein Grund zu knien, nie und nirgends!“
Eine Analyse über den im Namen des Antirassismus herrschenden Haß auf das Eigene / Eurozentrismus als Gegenkonzept
Michael Dienstbier

Der Westen im allgemeinen und Europa im besonderen sind Weltmeister darin, an sich selbst zu leiden und dieses der gesamten Welt kundzutun. Gerade wir Deutschen pflegen ein inniges Verhältnis zu diesem Schuldnarzißmus. Bereits 2018 analysierte die unter Pseudonym schreibende Kulturwissenschaftlerin Sophie Liebnitz in ihrem Buch „tote weiße männer lieben“ die Systematik hinter der autoaggressiven Feindbildkonstruktion des „alten weißen Mannes“, die neben der Verachtung des Eigenen eine Idealisierung des Fremden beinhaltet. In den vergangenen drei Jahren hat dieser Prozeß – befeuert durch die radikale „Black Lives Matter“-Bewegung seit dem Tod George Floyds im Mai 2020 – erheblich an Dynamik zugelegt. Im nun wiederum in der Reihe Kaplaken des Verlags Antaios erschienenen Darstellung „Antiweiß: Ein Kulturkampf“ wirbt Liebnitz für einen konsequenten Eurozentrismus als Gegenbewegung zum sogenannten Antirassismus, der nichts anderes als antiweißer Rassismus sei.

Dem Westen als Kulturraum nähert sich Liebnitz über die ihm eigene Institution des Museums an. Als Ergebnis der Kolonialisierung Afrikas und Asiens im 19. Jahrhundert wuchs das Interesse an den kulturellen Eigenheiten der eroberten Gebiete, die, in Ermangelung massenhafter Reisemöglichkeiten, in Gestalt ausgewählter Objekte zu den Völkern Europas gebracht und ausgestellt wurden. Das Problem bestehe darin, daß dem Museum durch das kontextlose Nebeneinanderstellen von Einzelartefakten eine Tendenz der vergleichenden Beliebigkeit innewohne, der ein nivellierendes Moment eigen sei: „Die westliche Welt ist ein Jahrmarkt der Beliebigkeiten, ein Trödelladen ohne Ausgang.“ Dies muß nicht zwangsläufig zu einer existentiellen Bedrohung der eigenen kulturellen Bestände führen, wie wir sie zur Zeit erleben. Eine Gemeinschaft, die fest in bestimmten Traditionen, Mythen und einem Sinn für Herkunft und Abstammung verwurzelt ist, kann das Nebeneinander verschiedener Kulturen tatsächlich gut verkraften und sich im optimalen Fall einzelne Elemente des Fremden graduell aneignen und somit mittel- und langfristig zum Eigenen machen.

In solchen Zeiten leben wir jedoch nicht. Es dominiert ein „absurdes Ausmaß an Allophilie“, welches eine dringend notwendige „Ent-Idealisierung des Fremden“ verhindere. Im Fremden den von der westlichen Zivilisation unverdorbenen Naturmenschen zu sehen, der uns auf den Pfad des wahren Lebens zurückführen könne, ist ein Topos, der im 18. Jahrhundert von Jean-Jacques Rousseau popularisiert wurde. Daß diesem mit dem Konzept des „edlen Wilden“ selbst ein rassistisch anmutendes Muster innewohnt, wird von dessen Adepten im 21. Jahrhundert gerne verdrängt.

Dem Konzept des „edlen Wilden“ wohnt ein rassistisches Muster inne

„Antiweiß“ fungiert bei Liebnitz als Kategorie zur Beschreibung der aktuellen Delegitimierung dessen, was als westliche Kultur angesehen wird. Phänomene wie der institutionalisierte Antirassismus, „woke culture“ sowie die Quotierung sämtlicher Lebensbereiche auch anhand ethnischer Kriterien zuungunsten weißer Menschen sind konkrete Ausformungen des antiweißen Kulturkampfes. Mit ihrer Formel „Eurozentrismus statt Ethnopluralismus“ richtet die Autorin durchaus kritische Worte an die eigene neurechte Blase, in welcher sich das Konzept des Ethnopluralismus großer Beliebtheit erfreut. Es bedürfe eben keines Kampfes für das Recht auf Verschiedenheit der Völker dieser Erde – dieses sei vielmehr eine Selbstverständlichkeit und Sache der einzelnen Völker selbst. Dringend notwendig hingegen sei ein selbstbewußtes Eintreten für einen Kulturraum Europa, der aufgrund seiner jahrhundertealten globalen Strahlkraft eben nicht wie andere Kulturen, sondern wahrlich exzeptionell sei. 

Auf weniger als hundert Seiten können viele Aspekte nur angerissen werden, die eine detailliertere Analyse verdient gehabt hätten. „Antiweiß“ ist eine mit Feuer geschriebene Kampfschrift für das Eigene, das einen zu Recht mit Stolz erfüllen kann. Diese Botschaft kann man nicht besser ausdrücken als in den abschließenden Worten des Buches: „Kein Grund zu knien, nie und nirgends!“

Sophie Liebnitz: Antiweiß. Ein Kulturkampf. Kaplaken B. 77, Verlag Antaios, Schnellroda 2021, gebunden, 96 Seiten, 10 Euro

Foto: „Black Lives Matter“-Kundgebung im Juni 2020 in Hannover: Gerade wir Deutschen pflegen ein inniges Verhältnis zum Schuldnarzißmus