© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Kosmetische Operationen
Sowjetgeheimdienst Tscheka wird in die GPU umgewandelt
Jürgen W. Schmidt

Vor hundert Jahren, am 6. Februar 1922, unterzeichnete der Vorsitzende der sowjetischen Regierung, Michail Kalinin, ein Dekret, gemäß welchem aus der vormaligen Tscheka („Außerordentliche Gesamtrussische Kommission zur Bekämpfung der Konterrevolution, Spekulation und Sabotage“) die neue staatliche Geheimpolizei GPU („Staatliche Politische Verwaltung“), ab 1923 dann als OGPU („Vereinigte Staatliche Politische Verwaltung“) bezeichnet, entstand.

Dieser rein formellen Umwandlung, immerhin blieb Feliks Dzierżyński weiterhin Chef der Geheimpolizei, waren Anfang Dezember 1921 Auseinandersetzungen im Politbüro der Bolschewiki vorangegangen. Die Initiative zur Umgestaltung der Tscheka ging vom später unter Stalin hingerichteten Politbüromitglied Lew Kamenew aus, den Lenin bei seinem Vorschlag unterstützte. Nach dem Sieg im Bürgerkrieg galt eine Disziplinierung und Verkleinerung der allzu hemmungs- und gesetzlos agierenden Tscheka als erforderlich. Unter Umbenennung in GPU wurde die bislang unabhängige Tscheka in die zentralen und regionalen Strukturen des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten der Sowjetunion (NKWD) eingebunden und ihre Aufgaben dabei leicht beschnitten.

So sollte die neue GPU nicht mehr wie einst die Tscheka die allgemeine Schwerkriminalität und insbesondere die Wirtschaftsverbrechen („Spekulation“) bekämpfen, sondern sich auf rein geheimpolizeiliche Aufgaben beschränken. Dazu wurden die Dienstabläufe und die Dienstränge in der GPU dem Militärischen angeglichen. Obwohl die GPU eigentlich nicht mehr mit „außerordentlichen Mitteln“, das heißt völlig gesetzlos, agieren sollte, räumte man ihr schon ab April 1922 wiederum „außerordentliche“ Rechte ein. Unter anderem war die GPU berechtigt, selbst Urteile zu fällen und diese zu exekutieren an allen bestehenden juristischen Staatsorganen vorbei. 

Zu diesen Rechten gehörte auch die Verhängung der Todesstrafe oder die Einweisung in KZ-ähnliche Arbeitslager, deren Zahl sich schnell vergrößerte. Selbst wenn der stets lenintreue GPU-Chef Dzierżyński nunmehr formal dem Volkskommissar für innere Angelegenheiten (Innenminister) und nicht mehr wie einst direkt der Sowjetregierung unterstellt war, blieb die GPU trotzdem ein „Staat im Staate“, und Dzierżyński und seine Amtsnachfolger besaßen faktisch die Funktion eines Geheimdienstministers. Der Übergang von der Tscheka zur GPU war folglich nur eine kosmetische Operation und änderte nichts an den außerordentlichen Rechten der sowjetischen Geheimpolizei, die auch der GPU-Nachfolger KGB bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 besaß.

Foto: Feliks Dzierżyński 1918: Geheimdienst als Staat im Staate