© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/22 / 07. Januar 2022

Der Flaneur
An der Tankstelle
Claus-M. Wolfschlag

Eine Tankstelle mit zwei Auffahrten. Das muß man wissen. Von den meisten wird die eine als Ein-, die andere als Ausfahrt genutzt. Doch festgeschrieben ist das nicht.

Ich nehme also die gewohnte Auffahrt und rolle zu den Zapfsäulen. Alle sind belegt. Doch ohnehin kommt nur die Hälfte dieser Säulen in Betracht, da sie an der Tankdeckel-Seite liegen sollten. Just an allen drei der passenden Säulen haben es sich Autos gemütlich gemacht. An zweien stehen große Transporter, und deren Fahrer sind damit beschäftigt, Spiegel zu wischen, Fußmatten auszuklopfen, Sitze zu bürsten. 

Soll ich etwas sagen? Ich schaue auf die grobschlächtigen Handwerkergesichter in ihren blauen Arbeits-Overalls und entscheide, daß das zwecklos ist. Statt Verständnis käme ein dummer Spruch wie „Du mich auch“, schließe ich aus vergangenen Erfahrungen mit ähnlichen Typen.

Die „Person of Color“ baut sich vor mir auf und schreit: „Dort ist die Einfahrt, dort die Ausfahrt!“

An der dritten Säule agiert ein Rentner im Schneckentempo. Soll ich etwas sagen? Da wird eine der Säulen auf der anderen Seite frei. Ich wende den Wagen rasch und fahre rückwärts an die Säule. Nur für 20 Euro. Die Spritpreise. Rein zum Bezahlen, dann schnell weg. 

Denkste. Als ich aus dem Kassenhäuschen komme, hat sich einer mit seiner Schnauze zwanzig Zentimeter vor mein Auto gestellt. Ich gebe ihm durch Gesten zu verstehen, er solle zwei Meter zurücksetzen, dann könne ich bequem herausfahren. Er zeigt an, daß ich rückwärts rollen soll. Dort ist es allerdings viel enger als auf seiner Seite. Als ich nicht reagiere, steigt er aus. 

Eine „Person of Color“ baut sich vor mir auf. „Dort ist die Einfahrt, dort die Ausfahrt! Sie sind falsch hereingefahren!“ schreit er. Soll ich etwas sagen? Ich schaue in sein Gesicht und überlege kurz, ob er weiß, daß es keine Schilder für eine Ein- und Ausfahrt gibt. 

Und ich überlege, ob er den Rangiervorgang angesichts der putzenden Handwerker verstehen könnte. Dann entschließe ich mich zurückzufahren. Er ruft: „Dank!“ Ich denke: „Du mich auch.“