© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/22 / 07. Januar 2022

Für Gold in den moralischen Bankrott
Vor 120 Jahren eskalierte der Zweite Burenkrieg / Das britische Empire griff auf verbrecherische Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung von Oranje und Transvaal zurück
Dag Krienen

Am 9. Oktober 1899 stellte der Präsident der Südafrikanischen Republik (Transvaal), Paul Kruger, Großbritannien ein Ultimatum, binnen 48 Stunden seine Truppen von den Grenzen Transvaals zurückzuziehen. Ansonsten würden die Südafrikanische Republik und der mit ihr verbündete Oranje-Freistaat London den Krieg erklären. Die britische Presse reagierte mit Hohn und Spott auf diese „groteske Herausforderung“. Zwei kleine, von kaum 400.000 weißen Siedlern, den Buren, getragene Bauernrepubliken im südlichen Afrika forderten das mächtige britische Empire heraus, das über ein Viertel der Bewohner der Erde herrschte. Das würde ein militärischer Spaziergang werden, bei dem die Soldaten an Weihnachten zum Tee zurückerwartet werden durften. Der Irrtum hätte nicht größer sein können. Am Ende mußte London 500.000 Soldaten mobilisieren, 211 Millionen Pfund (gut 200 Milliarden Pfund nach heutiger Kaufkraft) aufwenden und fast drei Jahre lang Krieg führen.

Die Buren („Boere“) stammten von Siedlern niederländischer, aber auch deutscher und hugenottischer Herkunft ab, die ab 1652 von der niederländischen Ostindien-Kompagnie am Kap der Guten Hoffnung als freie Bürger angesiedelt wurden, um die Versorgung der nach Ostasien verkehrenden Schiffe mit Lebensmitteln sicherzustellen. Nachdem die Briten 1814 das Kap annektiert hatten, zogen zwischen 1835 und 1840 rund 14.000 Buren im „Großen Treck“ aus der britischen Kapkolonie in die Gebiete des späteren Oranje-Freistaates und Transvaals. Sie gründeten dort eine Reihe von selbständigen kleinen Gemeinwesen. Die Briten erkannten die Unabhängigkeit von Transvaal und dem Oranje-Freistaat 1852 und 

1854 offiziell an. Als kleine Bauernrepubliken waren diese Staaten für London wirtschaftlich uninteressant. 1866 wurden allerdings am Ufer des Oranje-Flusses, bei der späteren Stadt Kimberley, Diamanten gefunden. Dies weckte Begehrlichkeiten, doch trat der Oranje-Freistaat gegen Kompensationszahlungen 1871 seine Ansprüche auf dieses Gebiet an die neugegründete britische Kronkolonie West-Griqualand ab. 1877 annektierten die Briten im Zuge ihres Krieges gegen die Zulu Transvaal. Nach Kriegsende begehrten die Buren auf und fügten im Ersten Burenkrieg 1880–1881 den Briten einige demütigende Niederlagen zu. Der liberale Premierminister Gladstone verzichtete auf eine Verstärkung der Kriegsanstrengungen und schloß einen Frieden, der Transvaals Unabhängigkeit wiederherstellte. 

Gold und Diamanten weckten Begehrlichkeiten der Briten

Doch 1884 wurden mitten in Transvaal am Witwatersrand bei Johannesburg ertragreiche Goldlagerstätten gefunden, die meist britischstämmige Ausländer als Goldsucher und Arbeiter in großer Zahl ins Land lockten. Es zeichnete sich bald die Gefahr ab, daß der Zustrom dieser „Uitlanders“ die Buren zur Minderheit im eigenen Land machen würde. Die Briten hingegen versuchten nun, die Kontrolle über die damals größten Goldvorkommen des Planeten und die beiden Republiken zu erlangen. Sie nutzten die Weigerung der Buren, den Uitlanders ökonomische und politische Gleichberechtigung samt Wahlrecht zu gewähren, als Vorwand für ihre imperialistischen Bestrebungen. Der von einem britischen Afrika vom Kap bis Kairo träumende Cecil Rhodes, von 1890 bis 1896 Premierminister der Kapkolonie, versuchte 1895 sogar durch einen Angriff probritischer irregulärer „Freiwilliger“ (Jameson Raid) einen Aufstand der Uitlanders in Johannesburg zu initiieren. Das Unternehmen scheiterte kläglich und Rhodes mußte zurücktreten. Doch der neue Hochkommissar am Kap, Alfred Milner, forderte im Sommer 1899 unverblümt, den Uitlanders sofort alle Bürger- samt Wahlrecht zu gewähren und die Gültigkeit aller vom Volksraad beschlossenen Gesetze von der Zustimmung des britischen Parlaments abhängig zu machen. Transvaals Präsident Kruger war bei den Einbürgerungsfristen zu Konzessionen bereit. Als ihn aber im September Nachrichten über die Verschiffung eines großen britischen Truppenkontingents nach Südafrika erreichten, hielt er den Krieg für unvermeidlich und überzeugte auch den Präsident des Oranje-Freistaates, Marthinus Steyn, davon. Er stellte das erwähnte Ultimatum am 9. Oktober, zwei Tage später rückten burische Soldaten vor und der Krieg begann.

Die beiden Republiken verfügten, von kleinen Artillerieverbänden abgesehen, über keine professionellen Soldaten, sondern nur über Bürger-Milizen, die sogenannten Kommandos, die ihre Offiziere selbst wählten. Doch waren fast alle burischen Männer im Pferdesattel und mit dem Gewehr in der Hand groß geworden, wobei sie letzteres mit großer Treffsicherheit auch auf weite Entfernung zu nutzen verstanden. Kruger hatte kurz vor dem Krieg zudem noch 37.000 Mauser-Mehrladegewehre neuester Bauart und eine Anzahl von modernen Kruppgeschützen beschafft. Die Briten waren auf den Kampf gegen meist aus getarnten Stellungen kämpfende und zugleich hochmobile Scharfschützen schlecht vorbereitet. Ihre oft frontal über offenes Gelände vorgetragenen Angriffe führten zu hohen Verlusten. Auf dem Schlachtfeld verloren die Briten während des Krieges trotz späterer Anpassung ihrer Taktik insgesamt fast doppelt so viele Tote (8.000) wie die Buren (4.500).

Der Zweite Burenkrieg kann in drei Phasen eingeteilt werden. In der ersten bis zum Januar 1900 stießen burische Kommandos in das Territorium der britischen Kapkolonie sowie Natals vor, belagerten dort wichtige Städte und fügten den zum Entsatz eilenden britischen Truppen eine Reihe von demütigenden Niederlagen zu. Allerdings konnten sie keinen der belagerten Orte zur Kapitulation zwingen. Wenn die Führer der Buren gehofft hatten, daß die Londoner Regierung wie im Ersten Burenkrieg nach einigen Niederlagen auf die weitere Steigerung ihres Einsatzes verzichten und zu einem Verständigungsfrieden bereit sein würde, täuschten sie sich. Die Briten waren diesmal bereit, ihren Einsatz massiv zu erhöhen. Neben Truppen aus dem Vereinigten Königreich, das die Masse der britischen Streitkräfte stellte, kamen große Kontingente aus der Kapkolonie und Natal (24.000), (Süd-)Rhodesien, Australien (20.000), Kanada (7.500), Neuseeland (6.500) und anderen Teilen des Empires zum Einsatz. Zwar erhielten auch die Buren Zuzug von außerhalb, aber nur durch 6.000 bis 7.000 Buren aus der Kapkolonie und rund 5.000 Freiwillige aus Europa. Insgesamt konnten sie nur rund 80.000 Soldaten mobilisieren, die Briten hingegen eine halbe Million.

Nach Eintreffen der Verstärkungen gelang dem neuen Oberbefehlshaber, Feldmarschall Lord Roberts, in der zweiten Kriegsphase (Februar bis Herbst 1900) rasch die Entsetzung der von den Buren belagerten Städte. Die Briten mußten zwar immer wieder hohe Verluste hinnehmen, konnten aber bis zum Sommer 1900 die Städte der Republiken erobern. Nach der Einnahme von Johannesburg und Pretoria im Juni wurden die burischen Kommandos in das Hinterland, das „Veld“, abgedrängt. Nachdem eine größere Zahl von Buren das Angebot einer Amnestie gegen die Leistung eines Loyalitätseides angenommen hatte, gab Roberts das Oberkommando im November 1900 an seinen Stabschef Lord Herbert Kitchener ab, 

Doch der Krieg war noch nicht zu Ende. Ab Sommer 1900 gingen die „bittereinders“, jene Buren, die Widerstand bis zum bitteren Ende leisten wollten, unter Führern wie Koos de la Rey und Christiaan de Wet zum Guerilla-Kampf über. Ihre Kommandos schlugen in dieser dritten Kriegsphase aus dem Hinterhalt immer wieder gegen britische Stützpunkte und Bahnlinien, aber auch gegen zuihrer Verfolgung entsandte britische Kolonnen zu. Im Februar 1902 konnten sie bei der Zerschlagung einer solchen sogar einen britischen Generalleutnant gefangennehmen. Auch in der britischen Kapkolonie wurden Guerillas mit Unterstützung dort lebender Buren aktiv.

Farmen wurden niedergebrannt, Konzentrationslager errichtet 

Die Briten griffen schließlich zu einer aufwendigen Strategie zur Aufstandsbekämpfung. Ein ausgedehntes System von Blockhäusern, die durch Verhaue von – militärisch erstmals zum Einsatz kommendem – Stacheldraht verbunden wurden, sollten nicht nur die eigenen Verbindungslinien schützen, sondern auch die freie Bewegung der Buren auf dem „Veld“ einschränken. Im Sommer 1901 griff Kitchener zu noch brutaleren Maßnahmen, um den Kommandos alle Möglichkeit der lokalen Versorgung und Unterstützung zu nehmen. Die Briten gingen zur Strategie der „Verbrannten Erde“ über. Ihre Truppen verbrannten in den Gebieten, die sie nicht ständig unter Kontrolle halten konnten, systematisch mehr als 30.000 Farmen und alle Feldfrüchte, töteten das Vieh und verschleppten sowohl die burischen Farmbewohner, meist Frauen und Kinder, als auch deren schwarze Arbeiter. Diese wurden in sogenannten „Concentration Camps“ verbracht. Der Intention nach waren diese zwar bloße Internierungslager, die aber so schlecht verwaltet und versorgt wurden, daß dort über 26.000 Burenfrauen und ihre Kinder und bis zu 20.000 Schwarzafrikaner verhungerten oder Krankheiten erlagen.

Kitchener konnte die Kommandos militärisch dennoch nicht bezwingen, zeigte sich aber aufgrund der immensen, auch moralischen Kosten der Kriegführung schließlich bereit, den „bittereinders“ entgegenzukommen. Unter dem Eindruck der wachsenden Verwüstung des Landes und des Leidens ihrer Familien in den Konzentrationslagern lenkten diese schließlich ein. Ab dem April 1902 wurde verhandelt und am 31. Mai ein Kompromißfrieden (Vertrag von Vereeniging) geschlossen. Die 20.000 „bittereinders“ mußten ihre Waffen abgeben und einen Loyalitätseid leisten, erhielten dafür aber eine Generalamnestie, eine Garantie ihres Eigentums sowie 3 Millionen Pfund Wiederaufbauhilfe. Oranje und Transvaal mußten die britische Oberhoheit akzeptieren, erhielten aber später eine zivile Selbstverwaltung zurück.

Foto: Burische Frauen und Kinder im Konzentrationslager 1902: 46.000 Zivilisten kamen dort um