© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/21 / 17. Dezember 2021

Aus der Traditionslinie herausschneiden
Das Kaiserreich verdammen und zu diesem Zweck die Hohenzollern wieder ganz nahe an die Nationalsozialisten heranrücken: Eine Bücherschau zur Hohenzollerndebatte
Ralph Fuchs

Soweit dafür überhaupt noch Platz war neben täglicher Demontage der Kultur des alten weißen Mannes, widmete sich das bundesdeutsche Qualitätsfeuilleton in den letzten drei Jahren hingebungsvoll der „Hohenzollern-Debatte“. Die dreht sich um die wenig publikumswirksame, juristisch-dröge Frage: Hat das Adelsgeschlecht der Hohenzollern Anspruch auf Entschädigung für die 1945/46 unter dem sowjetischen Besatzungsregime in Mitteldeutschland verfügten Enteignungen, so wie dies 1994 im sogenannten Ausgleichsgesetz geregelt worden ist? Oder hat es diesen verwirkt, weil Kronprinz Wilhelm von Preußen, der Sohn und Rechtsnachfolger des 1941 im holländischen Exil verstorbenen Kaisers Wilhelm II., bis 1933 dem Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub“ leistete und so mithalf, Adolf Hitler an die Macht zu bringen?

Auf diese Fragen wird im nächsten Jahr ein Urteil des Potsdamer Verwaltungsgerichts antworten. Und es ist schwer vorstellbar, daß dessen Entscheidung wesentlich abweichen könnte von dem Ergebnis, zu dem der Bonner Staatsrechtler Christian Hillgruber und sein Kollege Philipp Bender bei Prüfung zur Auslegung und Anwendung des Ausgleichsgesetzes gekommen sind. Deren Wortmeldung ist in einem von Hillgruber, Frank-Lothar Kroll (TU Chemnitz) und Michael Wolffsohn herausgegebenen Sammelband erschienen, der schlechterdings unentbehrlich ist zur Orientierung in der inzwischen verwirrend unübersichtlichen „Debatte“. Hillgruber und Bender übernehmen dabei die Aufgabe, den ebenso zentralen wie unbestimmten Rechtsbegriff des „erheblichen Vorschubleistens“ zu klären. Mit dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) definieren sie, daß diese Aktivität objektiv eine gewisse Stetigkeit der Handlungen verlangt, die geeignet sein mußten, um die Bedingungen zur Errichtung des NS-Regimes zu verbessern. Das BVerwG legt zugleich fest, daß, um das Tatbestandsmerkmal der „Erheblichkeit“ zu erfüllen, „qualifizierte Unterstützungshandlungen“ nötig gewesen wären.

Kronprinz Wilhelm war unfähig, ein politisches Programm zu entwickeln

Diesen Maßstab an den während der Endphase der Weimarer Republik selten öffentlich, sondern viel lieber in deutschnational-monarchistischen Netzwerken operierenden Kronprinzen angelegt, melden Hillgruber und Bender Fehlanzeige. Nicht einmal das auffälligste Engagement des von Joseph Goebbels als „Affe“, der bei seinen „Judenweibern“ bleiben möge, verhöhnten Kronprinzen, dessen Wahlempfehlung für Hitler in der Reichspräsidentenwahl vom März 1932, sei als „erhebliche Vorschubleistung“ zu klassifizieren. Denn abgesehen davon, daß Hitler die Wahl gegen den Amtsinhaber Hindenburg verlor und die Machtergreifung für ihn wieder in die Ferne rückte, lasse sich mit keiner Wählerumfrage mehr ex post empirisch nachweisen, welchen meßbaren Einfluß die Option Wilhelms auf die Stimmabgabe von Millionen Wählern gehabt haben könnte. Hier bewege sich jeder vom Verwaltungsgericht als Gutachter zu bemühende Historiker auf dem Feld der „reinen Spekulation“. 

Im übrigen sei zu fragen, ob nicht das „Charisma und das gesellschaftliche Renommee“, das politisch einsetzbare „symbolische Kapital“ des Kaiserhauses im allgemeinen und das des Kronprinzen im besonderen um 1930 schon weitgehend verbraucht gewesen sei. Das Kapital Wilhelms wohl in jedem Fall, wie ausgerechnet der mit schwachen Argumenten über 700 Seiten auf „Erheblichkeit“ pochende „Adelshistoriker“ Stephan Malinowski (Edinburgh) im Rückblick auf den üblen Ruf als „Hurenbock und Etappenhengst“ bestätigt, den der Thronfolger und Armeebefehlshaber während des Ersten Weltkrieg genoß. 

In der „Debatte“ geht es vordergründig ums Verurteilen

Durchgehend als „Windhund“ und „politisches Fliegengewicht“ porträtiert ihn auch Lothar Machtan (Bremen) in der ersten gründlichen, auf akribischer Quellenauswertung im Hausarchiv der Hohenzollern fußenden Biographie. Ohne jedoch, entgegen der Ankündigung, mit „sensationellem Quellenmaterial“ aufzuwarten, das neues Licht würfe auf Wilhelms untaugliche Versuche, im Entscheidungsjahr 1932 Strippen zu ziehen zwischen dem Personal der Präsidialkabinette Franz von Papens und Kurt von Schleichers einerseits, der Führung der NSDAP andererseits. Weil er, wie Rüdiger von Voss, der Ehrenvorsitzende der Stiftung 20. Juli 1944, in seinem Beitrag zum Sammelband lakonisch bilanziert, „vollkommen unfähig“ war, „ein politisches Programm zu entwickeln“. Mehr als ein gemeinsamer Wille, das demokratische „System“ Weimars zu beseitigen, habe Wilhelm mit dem auf seine Hilfe nie angewiesenen Hitler nicht verbunden. Hätten doch die Hohenzollern aus „sozialrevolutionärer“ NS-Sicht die lupenreine „Reaktion“ verkörpert, die der Text des Horst-Wessel-Liedes konsequent auf eine Stufe mit „Rotfront“ stellt. 

Ungeachtet einiger partieller politisch-weltanschaulicher Übereinstimmungen, habe den Kronprinzen also nichts als „Steigbügelhalter Hitlers“ qualifiziert. Ebenso lächerlich sei die ihm vorgehaltene „Nachschubleistung“, wie Machtan einräumt: Die Teilnahme als dekorative Staffagefigur am „Tag von Potsdam“, die matten Auftritte vor SA und Stahlhelm im Jahr der „nationalen Erhebung“, absolviert in der ihn deprimierenden Gewißheit, sich in der Hoffnung gründlich getäuscht zu haben, Hitler werde die Hohenzollernmonarchie restaurieren.  

Wenn aber der juristisch-historische „Fall“ des Hauses Hohenzollern so klar liegt und eigentlich wenig Konfliktstoff enthält, warum dann der ganze mediale Budenzauber? Auch Horst Möller, ehemaliger Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, findet im Gespräch mit Benjamin Hasselhorn (Würzburg) darauf keine befriedigende Antwort und sinniert, „diese Debatte ist absurd“. Aus seiner wissenschaftlichen Perspektive ist dieses Fazit zwar korrekt. Aber in dieser „Debatte“ geht es eben gar nicht um Wissenschaft und Wahrheitssuche, sondern um Umerziehung, für die sich Historiker zu Bütteln eines entnationalisierten Geschichtsbildes erniedrigen. Und die nach dem Muster des „Historikerstreits“ von 1986 gestrickt ist, das alle darauf folgenden, antideutsch grundierten geschichtspolitischen Kontroversen, bis zum aktuellen Streit um die deutsche „Kolonialschuld“, prägt. All dies erschiene Möller vielleicht nicht mehr so absurd, wenn er seine eigene Feststellung ernst genommen hätte: „Es bräuchte ja gar keine Geschichtswissenschaft, wenn es einfach nur unser Ziel wäre, die Vergangenheit zu verurteilen.“  

Exakt darum dreht sich auch diese „Debatte“: ums Verurteilen. Um, wie der politisch-mediale Komplex sich schon vom „deutschen Volk“ losgesagt hat, sich von der deutschen Geschichte zu verabschieden, selbst von der bislang „harmlosen“, doch nun unerträglich „heteronormativen“ Bonner Republik (JF 50/21). Jüngste, historiographisch überzeugende Bemühungen, das Kaiserreich zu „rehabilitieren“, mußte man daher, wie Peter Hoeres (Würzburg) ausführt, mit verschärften Anstrengungen kontern, es „aus der Traditionslinie der Bundesrepublik herausschneiden“. Deswegen ließ sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, als ranghöchster Geschichtsklitterer, auch nicht lange bitten, um zum Tag der Deutschen Einheit 2020 die Lüge zu verbreiten, im Kaiserreich hätten Juden wie Sozialdemokraten und Katholiken als „Reichsfeinde“ gegolten und seien „verfolgt, ausgegrenzt, eingesperrt“ worden. Wahrlich eine passende Begleitmusik zum laufenden Spektakel  „Die Hohenzollern und die Nazis“. 

Frank-Lothar Kroll, Christian Hillgruber, Michael Wolffsohn (Hrsg.): Die Hohenzollern-Debatte. Beiträge zu einem geschichtspolitischen Streit. Duncker & Humblot, Berlin 2021, gebunden, 427 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

Lothar Machtan: Der Kronprinz und die Nazis. Hohenzollerns blinder Fleck. Duncker & Humblot, Berlin 2021, gebunden, 300 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

Stephan Malinowski: Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration. Propyläen Verlag, Berlin 2021, gebunden, 750 Seiten, Abbildungen, 35 Euro

Fotos: Kronprinz Wilhelm von Preußen beim Stahlhelmtag in Perleberg 1932: Mehr als ein gemeinsamer Wille, das demokratische „System“ Weimars zu beseitigen, habe Wilhelm mit dem auf seine Hilfe nie angewiesenen Hitler nicht verbunden; Kronprinz Wilhelm (l.) am Tag der Reichspräsidentenwahl vor dem Wahllokal in Potsdam: Ein meßbarer Einfluß auf die Stimmabgabe von Millionen Wählern ist reine Spekulation