© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/21 / 17. Dezember 2021

Erziehungswerk für das Internet
Politik und Initiativen betreiben eine einseitige Förderung der „Medien-kompetenz“ von Kindern
Eric Steinberg

Das Internet bestimmt den Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Sie schauen Youtube, streamen Serien und Filme, spielen Computerspiele oder schreiben WhatsApp-Nachrichten. Laut einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest nutzten vor der Pandemie 89 Prozent der 12- bis 19jährigen täglich das Internet – Tendenz durch die Corona-Krise steigend. 

Doch neben Teenagern kommen auch Grundschüler und sogar Kindergartenkinder mit den digitalen Medien in Berührung. Dabei lauern im World Wide Web unzählige Gefahren auf die Heranwachsenden. Deren Schutz hat sich nicht nur der Bund und insbesondere das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verschrieben, sondern auch die Europäische Union. Bewahrt werden sollen sie vor Pornographie und Cyber-

mobbing, aber auch vor Haß und sogenannten Fake News. Denn mangelnde „Medienkompetenz“ junger Bürger, die oftmals alternative Medien nutzen, gefährde laut dem Direktor des Leipziger Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Markus Beiler, die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Um junge Menschen im Umgang mit dem Internet und dem „Qualitätsjournalismus“ zu schulen, gibt es hierzulande eigene Initiativen, die sich an unterschiedliche Zielgruppen und Altersklassen richten. Eine davon ist „Gutes Aufwachsen mit Medien“. Deren Zielsetzung ist simpel: „Sie (Kinder und Jugendliche) sollen im Internet, in den Sozialen Medien, beim Homeschooling, Gaming und Streamen sicher unterwegs sein.“ Damit das gelingen kann, hat die Organisation zahlreiche Angebote und Tips für die ersten Medienerfahrungen parat. 

Fülle an Kampagnen und Netzseiten

Vor allem leistet die Initiative Unterstützungsarbeit bei der Bildung von lokalen Netzwerken. In diesen Netzwerken sollen sich pädagogische Institutionen und Einrichtungen wie Jugendclubs, Kindergärten oder Bibliotheken auf lokaler Ebene zusammenschließen und gemeinsame medienpädagogische Projekte umsetzen, um die Jugend im Umgang mit der digitalen Welt zu schulen. Die Einrichtung bietet dafür „ausgewählte Informationen zur kindlichen Mediennutzung und Medienerziehung“.

Auch Weiterbildungsangebote gibt es auf der Internetseite. „In unseren regelmäßigen Online-Konferenzen geben Experten praxisnahe Einblicke in relevante Themen der Medienerziehung und Medienkompetenzförderung von Kindern und Jugendlichen. Sie erhalten zum Beispiel Ratschläge und Informationen zu kindgerechten Apps und Webseiten, zur sicheren Nutzung von Medien und zur Gestaltung medienpädagogischer Angebote“, heißt es auf der Website. Die Auswahl ist breit gefächert. So finden sich beispielsweise auch Online-Veranstaltungen, die sich damit beschäftigen, wie man per Videospiel an den Widerstand im Nationalsozialismus erinnern kann. Veranstaltet werden derlei Angebote jedoch nicht von der Initiative selbst, sondern von Polit-Akteuren wie der Landeszentrale für politische Bildung Saarland. Auf diese Weise fungiert „Gutes Aufwachsen mit Medien“ gleichzeitig als Linkschleuder für zahlreiche andere Anbieter von vermeintlich kindersicheren Inhalten. 

Zu denen zählt auch „Seitenstark“, das als Netzwerk für etwa 60 Kinderseiten dient. „Gemeinsam präsentieren wir eine vielseitige Landschaft voller bunter Themen und spannender Lern- und Mitmachangebote. Altersgerechte Texte, Videos, Audios und Spiele vermitteln Wissen, sensibilisieren die Kinder für gesellschaftliche, kulturelle oder Umweltthemen und fördern ihre Sozial- und Medienkompetenz“, beschreibt „Seitenstark“ seine Offerte für klickende Kids. Tatsächlich wird eine Mischung aus Spielen und Bildungsmöglichkeiten präsentiert, die sich in Mehrwert und Sinnhaftigkeit allerdings gravierend voneinander unterscheiden. Auf „Jippietube“ wird beispielsweise in comichafter Art bedingt neutral – der Bösewicht ist am Ende selbstverständlich doch wieder weißer Europäer – auf die Zerstörung des Sumatra-Regenwaldes aufmerksam gemacht. 

Andere Seiten sind allein in ihrer Wortwahl direkter. Das Umwelt-Onlinemagazin „ÖkoLeo“ für Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis 14 Jahren übernimmt gleich den Jargon von „Fridays for Future“ und Co.: „Um die Klimakrise aufzuhalten, müssen alle Staaten mithelfen und ihre Anstrengungen verstärken.“ Das verwundert nicht, schließlich wird ein paar Beiträge weiter gleich der „AllefürsKlima“-Streik der Umwelt-Aktivisten beworben. Natürlich spielt nicht nur Klima, sondern auch Gender eine Rolle. Auf der Seite „Frieden Fragen“ für 10- 

bis 15jährige kann sich in der Kategorie „Leben in Vielfalt“ darüber informiert werden, was es bedeutet, Transgender zu sein. Diese Inhalte sollen nicht nur von Privatpersonen abgerufen werden. Es wird auch bei Lehrkräften dafür geworben, den Stoff im Unterricht einzusetzen.

Parallel greift oft die Landespolitik ein, um die „Medienkompetenz“ der Kleinen zu stärken. So treibt zum Beispiel Rheinland-Pfalz gemeinsam mit dem Pädagogischen Landesinstitut in zehn Kitas das Programm „Medienbunt-rlp“ voran, um Kindern den „richtigen“ Umgang mit Tablets beizubringen.

Sowohl „Seitenstark“ als auch „Gutes Aufwachsen mit Medien“ gehören zu der Stiftung „Digitale Chancen“. Deren Aufgabe ist es seit der Gründung 2002, „die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung zu erforschen, sich für den chancengleichen Zugang aller Menschen zum Internet einzusetzen und ihre Medienkompetenz zu stärken. Ihr Ziel ist es, die digitale Integration aller gesellschaftlichen Gruppen zu fördern und einer drohenden digitalen Spaltung entgegenzuwirken.“ „Digitale Chancen“ verfügte im Geschäftsjahr 2019 über ein Gesamtbudget von 1,65 Millionen Euro, 1,25 Millionen stammten davon aus der öffentlichen Finanzierung.

Von europäischer Seite gibt es noch ein deutlich größeres Projekt, das sich dem Internetschutz von Heranwachsenden widmet. Über das Safer Internet Center der Europäischen Union erhielten verschiedene Initiativen wie „Nummer gegen Kummer“, Jugendschutz.net und Klicksafe.de im Zeitraum von 2015 bis 2019 eine Fördersumme von 6,28 Millionen Euro. Und die EU hat viel vor: Bis 2030 sollen 80 Prozent aller EU-Bürger digitale Grundkenntnisse vermittelt bekommen. Eine 25köpfige Expertenkommission – darunter befinden sich unter anderem Vertreter des UN-Kinderhilfswerks Unicef und des Europarats – soll dazu unter dem Motto „Erst denken, dann klicken“, die Leitlinien entwickeln.

EU will digitale Grundkenntnisse vermitteln

„Klicksafe“ setzt ähnliche Schwerpunkte wie die anderen deutschen Initiativen: kompetente und kritische Nutzung von neuen Medien vermitteln. Kompetent und kritisch heißt hier vielfach: um die Angebote und Inhalte rechtskonservativer Medien und Profile herumlenken. „Klicksafe“ nimmt Nutzer bis ins kleinste Detail an die Hand und beantwortet Fragen wie: „Was ist Instagram? Welche Probleme und Risiken sind bekannt?“ und gibt darüber hinaus Tips für Eltern und Jugendliche. In Informationstexten geht es um konkrete Inhalte wie beispielsweise die Nutzung von sozialen Medien, Rechtsfragen oder auch „Hate Speech“. 

Wohlgemerkt: Instagram hat wie auch Facebook eine Altersbeschränkung von 13 Jahren, die von WhatsApp liegt sogar bei 16 Jahren. Für diejenigen, die sich noch kritischer als Klicksafe den sozialen Medien zuwenden wollen, bietet die Initiative eine Checkliste für Familien an, um „gemeinsam Falschmeldungen auf der Spur“ zu sein.  

„Klicksafe“ steht nicht allein, sondern ist mit anderen NGOs und Projekten bestens vernetzt. So finden sich neben Projekten der Stiftung „Digitale Chancen“ auch linksliberale Akteure aus dem breiten Auswuchs diverser Anti-Hate-Speech-Organisationen (JF 46/21), die dem Bürger die rechten Gefahren des Netzes näherbringen sollen. Alle gemeinsam bilden eine Art Erziehungsnetztwerk Internet, das zwar mit Millionen von Euro unterstützt wird, eines aber sicher nicht fördert: den eigenverantwortlichen Umgang mit Netzinhalten. 

Foto: Junge beim Medienkonsum über ein Smartphone: Kinder auf Linie bringen