© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/21 / 17. Dezember 2021

Zwiesprache mit der Schöpfung
Die Kraft der Malerei: Frauke Gloyers Naturbilder in Ausstellungen der Museen Eutin und Husum
Thomas Gädeke

Wie oft liegt es nahe, darüber zu räsonieren, was es „noch gibt“, oder gerade andersherum, was es „nicht mehr gibt“. Angesichts der Malerei von Frauke Gloyer wollen wir uns dessen entschlagen und einfach daran freuen, daß unter uns eine Malerei entsteht, die Zuneigung und Staunen der Betrachter erregt. Wundern müssen wir uns allenfalls, wie das in unserem Kunstbetrieb möglich ist. Und wirklich, einfach wurde es Frauke Gloyer nicht gemacht. 

Noch 1980 während ihrer Ausbildung an der Braunschweiger Kunsthochschule bestand sie darauf, an einem Aktkursus teilzunehmen, obwohl ihr bedeutet wurde, daß sie sich damit die Chance auf den Rang einer Meisterschülerin verbaute. Ja, Ideologie herrscht schon lange auf dem Felde der Kunst. Wir erinnern uns, daß die Dominanz der Abstrakten bereits in den 1950er Jahren dazu führte, alles Naturnahe als gestrig zu verbannen und aus dem Betrieb „fortschrittlicher“ Kunst auszuschließen. Der Maler Karl Hofer (1878–1955), nach dem Krieg auch Direktor der Berliner Hochschule für die bildenden Künste, fand das bittere Wort von der „abstrakten SS“.

Mit der Popart kam dann zwar der Gegenstand wieder – aber wie, als banale Wiederholung von Werbegraphik und Fotos, doch wiederum ideologisch überhöht, denn gerade die Konsumwelt sollte ja kritisiert werden, indem ihre Produkte unverwandelt und möglichst riesengroß in die Ausstellungen gerieten. Damit war nicht nur der Verstand, sondern auch der Sinn für Ästhetik auf der Strecke geblieben, den die Kultur von Art Informel und Tachismus als Varianten des Abstrakten immer noch gepflegt hatten. 

Tiefe Wurzeln in die Urgründe von Tradition und Natur

Von dem österreichischen Bildhauer und Kommunisten Alfred Hrdlicka stammt das treffende Wort: „So lieb ist der liebe Gott nun auch wieder nicht, daß er dem, der keinen Inhalt hat, die Form schenkte.“ Aber Frauke Gloyer hat er einiges geschenkt, vor allem den Zauberstab der Malerei und mehrere Wünschelruten dazu, die sie zu ihren Motiven und deren malerische Umsetzung führen.

Geboren 1961 in Flensburg, enttäuschte die Einserabiturientin ihre Lehrer mit der Ankündigung, nunmehr auf dem Deich sitzen und malen zu wollen. Die Ausbildung in Braunschweig brachte ihr handwerkliche Kenntnisse, doch nicht die Nähe zum „fortschrittlichen“ Kunstbetrieb. Der Sinn für das Zeichnen und Malen in der Natur, schon vor dem Studium durch Lutz Theen und Hedda Pontoppidan geweckt, war zu stark. Nordfriesland, wo sie auch ihren Lebenspartner finden sollte, wurde zu ihrem Gebiet, und das Malen nach Sicht gab ihr von Anfang an so viel, daß sie von diesem Weg nicht mehr abwich. 

Zwar bekam sie natürlich nicht das Stipendium der Villa Massimo, zu dem sie der Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums Schloß Gottorf vorgeschlagen hatte, denn für so viel Abweichung vom linken Zeitgeist war die Jury nicht gerüstet, aber es wuchs ihr Erfolg im Stillen kleiner und bald immer größerer Ausstellungen im nördlichsten Bundesland. Bald wurde Nikolaus Störtenbecker, der Organisator der Symposien der Norddeutschen Realisten, auf sie aufmerksam und holte sie in diese Gruppe, mit der sie seit 1994 gelegentlich malt und mit der sie 2013 den Kunstpreis der Schleswig-Holsteinischen Wirtschaft erhielt.

Frauke Gloyer hat tiefe Wurzeln in die Urgründe von Tradition und Natur getrieben und so sehr belebt, daß sie selbstverständlich damit umgeht und daraus schöpft. Sie lebt in einer 300jährigen Kate mit Ofenheizung auf dem Deich bei Dagebüll und führt am liebsten Zwiesprache mit dem Wattenmeer und dem sich darüber spannenden Himmel, mit den reetgedeckten Häusern, den Blumengärten und den Tieren des Landes. 

Wir von Stadt und Zivilisation geprägten und der Natur entwöhnten spüren sofort diese echte Verbundenheit als unser Defizit. Da ist viel zu lernen. Die Natur ist bedroht, und der Mensch lernt gerade nach Jahrhunderten der Naturausbeutung, diese zu bewahren und sich selber wieder darin einzuordnen. Dazu kann diese Kunst helfen, denn sie stärkt unsere Sinne.

Gloyers Kunst ist Ölmalerei auf Leinwand in oft kleinen, neuerdings auch größeren Formaten. Stets sind die Bilder in einem Zug gemalt. Die Frische des ersten skizzenhaften Zugriffs ist auch den vollendeten Kompositionen eigen. Die Malerin arbeitet immer vor der Natur, Hilfsmittel wie Fotografie verwendet sie nicht. Wie gut! Denn das Foto arretiert eine sich ständig rasch verändernde Landschaft abrupt, und der Maler wird zum Reproduzierer, wenn er das Foto zum Ausgang seiner Arbeit nimmt.

Hilfsmittel wie Fotografien verwendet sie nicht

Doch das ständig wechselnde Licht, das auflaufende oder ablaufende Meer, die sich bewegenden Tiere und Wolken – nichts davon kann sofort gemalt werden, vielmehr wird eine Summe gezogen und das Bild einer Natur zusammengefügt, wie es lebendig zusammenpaßt. Deshalb nennt man Künstler auch „Schöpfer“, und sie sind es auch, wenn sie der Natur nicht nur folgen, sondern sie in ihrem Kunstwerk auch verwandeln. 

Gloyer hat ihre Favoriten in der Kunstgeschichte. Da sind es die älteren modernen Maler des Nordens wie Hans Peter Feddersen d.J., Otto H. Engel, Ludwig Dettmann, Anders Zorn, Anna und Michael Ancher und die Gruppe der Skagenmaler sowie der US-amerikanische Porträtmaler John Singer Sargent und der russische Realist Ilja Repin. Doch hat sie in gekonnten Paraphrasen ihre Reverenz auch Peter Paul Rubens und Anton van Dyck erwiesen. „Hauptsache gute Malerei!“, pflegt sie zu sagen und mag Picasso und alle flächenaufteilende Kunst der Moderne nicht wirklich gerne sehen. 

Ihre tiefe Sinnlichkeit läßt sie die Natur im Kleinen, etwa in einer Klatschmohnblüte, ebenso lebendig machen wie sie das Pathos des großen, lichtdurchfluteten Wolkenhimmels über Nordfriesland zum Sprechen bringt, ohne daß ein falscher Ton eindringt. Was kann man nicht alles malen, was kann man nicht alles als darstellenswert entdecken! Zwei Glasmurmeln, eine Gruppe von Knöpfen, das merkwürdige Paar von Kampfstiefeln der Bundeswehr neben eleganten Herrenschuhen, eine Gruppe von Kinderzeichnungen, gar ein mumifiziertes Kaninchen, das sein Leben vor Jahren in der hintersten Ecke ihres Holzschuppens beendet hatte.

Eine Besonderheit sind ihre Tierbilder. Die zahme Saatkrähe, die sie 17 Jahre begleitete, war oft Modell wie auch der Hund „Moppi“, eine kleine Nacktschnecke mit glänzend aufscheinendem Leib ebenso wie der vermeintlich im Schilf lauernde Hecht – bis man bemerkt, daß es der Kopf dieses Räubers ist, der auf einem Teller mit Blutlache liegt. Das Verständnis für die Kreatur reicht tief, wie an dem Kopf der 2021 gemalten Milchziege zu sehen ist. 

Unsere Zeit ist der Leistung von Frauen gegenüber sehr aufgeschlossen. Wird das auch für dieses unangepaßte Werk gelten?

Zwei Museen haben Frauke Gloyer zu ihrem 60. Geburtstag Ausstellungen eingerichtet. Im Ostholstein Museum Eutin, Schloßplatz 1, sind 130 Bilder bis zum 30. Januar 2022 zu sehen. Das Nordfriesland Museum Nissenhaus in Husum, Herzog-Adolf-Straße 25, zeigt weitere 130 Bilder von ihr bis zum 20. Februar 2022.

Der dazu erschienene Katalog von 176 Seiten ist mit einfühlsamen Essays von Andrea Kunsemüller und Benedikt Erenz sowie von den Museumsdirektoren Julia Hümme und Uwe Haupenthal versehen. Er kostet in den Museen 28,90 Euro

 https://museum.kreis-oh.de

 www.museumsverbund-nordfriesland.de

Foto: Frauke Gloyer, Aufgelockert mit weitem Blau, Öl auf Leinwand, 2021: Pathos des lichtdurchfluteten Himmels über Nordfriesland