© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/21 / 17. Dezember 2021

Der Zorn der alten Dame
Diskurs: Elke Heidenreich macht mit politisch unkorrekten Äußerungen von sich reden
Thorsten Hinz

Unter dem Eindruck der Pandemie-Restriktionen, des Klima- und Genderwahns und einer irrwitzigen, antiweißen und antideutschen Identitätspolitik entstehen überraschende Meinungs-Koalitionen und Querfronten. Wo kürzlich noch Gegnerschaften bis hin zur Feindseligkeit, bestenfalls höhnisches Desinteresse herrschten, öffnen sich Diskurs- und Resonanzräume, in denen Kontrahenten zusammenfinden und feststellen, daß ihre Ansichten und Interessen in wichtigen Bereichen übereinstimmen. Die alte politische Lagerordnung Links-Rechts-Mitte verschwindet deshalb nicht, doch sie verliert ihre Ausschließlichkeit.

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht zum Beispiel, einst als Chefin der Kommunistischen Plattform der Gottseibeiuns aller Liberalen, Konservativen und Rechten, erscheint diesen heute als libertäre Heroine, die mit intellektueller Brillanz die Corona-Politik der Regierung seziert und das eigene Lager nicht schont: „Es gab immer einen Strang linken Denkens und Handelns, der stark autoritär war.“ Sogar das Wort „totalitär“ fällt in dem Zusammenhang.

Spott in Talkshow über „modernen Konservatismus“

Heribert Prantl, der die Süddeutsche Zeitung zur „Alpenprawda“ und „Prantlhauser Allgemeinen“ (Don Alphonso) verformte und als politisch korrekte Spürnase unentwegt vermeintliche Nazis, Ausländer- und sonstige Verfassungsfeinde erschnüffelte, hat begriffen, daß er den falschen Freiheitsfeinden entgegengezittert hatte und die wirklichen Zerstörer der Bürgerrechte in den Institutionen sitzen, die ursprünglich zu ihrem Schutz bestimmt waren. Sein Kommentar zum Lockdown-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eindeutig: Die Ausführungen der Richter „sind dürftig in ihrer Begründung. Sie sind oberflächlich in der juristischen Argumentation. Sie sind gefährlich in der Reduzierung des Rechtsschutzes. Und sie sind feige in ihrer Grundhaltung“. Damit „wird die Rechtsschutzgarantie zu einer bloß papierenen Garantie“, sagte er der Berliner Zeitung.

In die Querfront hat sich – auf niedrigerem intellektuellen Niveau – auch die Schriftstellerin, Literaturkritikerin, Publizistin und Moderatorin Elke Heidenreich mit Auftritten im Fernsehen und in der Presse eingereiht. Im Oktober holte sie in der ZDF-Talkshow mit Markus Lanz zum Rundumschlag aus. Ihre Attacke auf CSU-Chef Markus Söder – der „strotzt nur so von Intrigen und Bösartigkeit“ – war kaum überraschend, aber treffend. Erstaunlicher war ihr Spott über den „modernen Konservatismus“, den ein Berliner CDU-Mann im Mund führte. Die Union solle einfach „konservativ“ sein, das genüge. Den früh verblühten CDU-Wunderknaben Philipp Amthor identifizierte sie als einen paßgenauen Apparatschik: „Philipp Amthor – ist das eure neue Jugend?“ Der sei „jetzt schon älter als ich und ich bin 80“.

Auch die Sprecherin der Grünen Jugend, Sarah Lee Heinrich, die früh ihre Identität in Ablehnung der „ekligen weißen Mehrheitsgesellschaft“ definiert hatte, bekam ihr Fett weg. Über die 20jährige sagte Heidenreich: „Sie hat überhaupt keine Sprache, kann überhaupt nicht sprechen. Das sind wieder Kinder, die nicht lesen. Das ist diese Generation, von der ich immer wieder merke, wie sprachlos sie ist, wie unfähig mit Worten umzugehen.“ Und dann die Diversitäts-Quoten: „Eine einbeinige chinesische Taubstumme mit Migrationshintergrund. Was kommt noch alles? Ich möchte, daß wir wieder zu einer Art Normalität zurückkehren.“ Gar nichts hält sie von der Gendersprache, die künstlich sei. „Es grenzt ja auch wieder aus, es reduziert wieder auf männlich oder weiblich“, sagte sie der Welt.

Das sind Selbstverständlichkeiten, ja Banalitäten, die mittlerweile bemerkenswert sind, weil sie sonst kaum noch öffentlich geäußert werden. Wie lange wird man Elke Heidenreich noch gewähren lassen? Momentan zehrt sie vom Bonus, zum alteingesessenen Inventar des linken Kulturbetriebs zu gehören. So moderierte sie von 2003 bis 2008 im ZDF die einflußreiche Literatursendung „Lesen!“ und wurde gelegentlich zur „Literaturpäpstin“ in der Nachfolge Marcel Reich-Ranickis ernannt. Als ästhetischer Maßstab diente ihr die eigene „Emotionsgewißheit“ – ein Begriff, den sie von dem Kulturpublizisten Joachim Kaiser entlehnt hatte –, aus der sie mitunter das Recht auf den feministischen Gossenslang ableitete. („Das ist eine ganz ekelhafte Altmännerliteratur, die wir da jetzt haben: Grass, Walser – diese eitlen, alten Männer, die den Mund nicht halten können!“) Nie ließ sie einen Zweifel daran, zur Gute-Menschen-Fraktion zu gehören. („Auch Greenpeace, die Tierschutzorganisation WASP oder Amnesty International sind Organisationen, bei denen ich ganz selbstverständlich dabei bin.“) Daß ausgerechnet sie heute eine der letzten ist, die dem gesunden Menschenverstand in den Mainstream-Medien eine Stimme geben, sagt viel über die katastrophale Entwicklung in der Gesellschaft aus.

Sie ist noch keineswegs 80, im Februar nächsten Jahres wird sie erst 79. Im gerechten Alterszorn prangert sie – was ihr wiederum kaum klar ist – die Folgen der durch „1968“ ausgelösten Kulturrevolution an, die sie selber mitgetragen hat. Die Normalität, deren Verschwinden sie beklagt, wurde über die Jahre und Jahrzehnte vorsätzlich unterminiert und zermahlen. Am vorläufigen Ende dieses destruktiven Prozesses stehen keine emanzipierten, mündigen Menschen, sondern verdruckste, opportunistische, dem Denunziantentum zugeneigte Untertanen, aus denen zudem oft die schiere Dummheit spricht.

Sie beklagt Mangel an kultureller und literarischer Bildung

Gerade hat Heidenreich nachgelegt. „Die adretten Kinder von heute, die reiten und zur Schule gefahren werden, halten nicht so viel aus“, sagte sie der Illustrierten Bunte. „Sie können keine Tiefe entwickeln, keine Widerstandsfähigkeit.“ Sie macht dafür den Mangel an kultureller und literarischer Bildung verantwortlich. „Lesende Kinder sind erst mal pflegeleicht, sie sitzen still in der Ecke, aber sie werden später gefährlich: weil in guten Büchern die Rebellion angelegt ist.“ Damit verwirft sie en passant auch die staatlich gehegten, eingebildeten Klima-Rebellen von „Fridays for Future“.

Was auch Heidenreich beschweigt: Die „adretten Kinder“ sind überwiegend die Nachkommen deutscher Eltern. Nicht zuletzt aufgrund der vielen Abtreibungen bilden sie eine kleine und durch Indoktrination zusätzlich demoralisierte Alterskohorte, die zur Rebellion weder numerisch noch geistig in der Lage ist. Statt gegen staatliche Anordnungen zu rebellieren, ist es für sie aussichtsreicher, sich anzupassen. Andere Kinder hingegen bilden schon früh eine beträchtliche „Widerstandsfähigkeit“ aus, die sie allerdings nicht aus „guten Büchern“ beziehen.

Die Substanz von Heidenreichs Interventionen ist banal. Dennoch: Willkommen im Klub.

Foto: Elke Heidenreich: Sie prangert heute die Folgen der durch „1968“ ausgelösten Kulturrevolution an, die sie selber mitge-tragen hat