© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/21 / 17. Dezember 2021

Giorgio Agamben gegen die Fortschrittsglobalisten aus Silicon Valley
Negative Biopolitik
(wm)

Ohne seit Jahrzehnten einflußreiche Intellektuelle wie den italienischen Philosophen Giorgio Agamben, einen Theoretiker des Ausnahmezustands, wären die Impfraten während der Corona-Pandemie so hoch, daß es einen Impfzwang gar nicht bräuchte. Nicht der „Zusammenschluß aus Uninformierten, Falschinformierten, Fehlgeleiteten und Misanthropen“ habe „uns in diesen traurigen Schlamassel hineingeritten“, sondern Denker aus den oberen Rängen der akademischen Welt wie Agamben. Ihn macht Benjamin Bratton (University of California) daher stellvertretend für einen „Totalausfall der Philosophie in der Pandemie“ verantwortlich (Merkur, 10/2021). Aber nicht, daß Agamben mittlerweile Impfpässe ausdrücklich mit „Judensternen“ vergleicht, erregt den Zorn des kalifornischen Kunstprofessors, sondern das sich darin aussprechende alteuropäische Weltbild mit seinem „vordarwinistischen Begriff vom Menschen“. Agamben entlarve sich damit als Erbe der Romantik, der Erzfeindin von „Rationalität und Technik“. Für Bratton, wohl nicht zufällig in der Nachbarschaft von Silicon Valley angesiedelt, verbaut diese querköpfige Verteidigung „kulturalistischer Traditionen“ nur unnötig den Weg in die schöne neue, biotechnologisch-gentherapeutisch machbare Welt der Zukunft. „Positive Biopolitik“ mache es den Menschen zur sozialen Verpflichtung, die sich aus ihr ergebenden Chancen in Form allgemein verfügbarer Östrogene und Androgene oder den lockenden Angeboten zur Geschlechtsumwandlung zu ergreifen. Agamben hingegen verfechte eine negative Biopolitik, die nur Verschwörungstheorien über moderne Labor-Biotechnologie und „technisch-medizinische Globalisten“ befeuere. 


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