© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/21 / 17. Dezember 2021

„Unerbittliche Verfolgung“
Großbritannien: Wikileaks-Gründer Julian Assange soll nun doch in die USA ausgeliefert werden / Erneute Berufung oder politische Entscheidung?
Liz Roth

Julian Assange kann nun doch in die USA ausgeliefert werden. Nach jahrelangen Prozessen hat das höchste Gericht in London, der High Court, entschieden, daß es „keine Bedenken hinsichtlich seiner geistigen Gesundheit gibt“ und der Wikileaks-Gründer in der Lage sei, sich in allen 18 Anklagepunkten vor einem US-Gericht zu verantworten (CO/150/2021). Richter Timothy Holroyde ließ die Berufung aufgrund der Zusage der USA zu, das Selbstmordrisiko zu verringern. Im Januar hatte der Richter in der Vorinstanz den Antrag auf Auslieferung abgelehnt, da er davon ausging, daß Assange geistig zu labil sei und sich wahrscheinlich unter harten Haftbedingungen des amerikanischen Strafrechtssystems umbringen würde.

Der im australischen Townsville geborene Assange, der nicht persönlich an der Anhörung teilnehmen durfte, wird von den US-Behörden wegen der Veröffentlichung von Hunderttausenden von geheimen Militärdokumenten und diplomatischen Nachrichten in den Jahren 2010 und 2011 gesucht. In den Gerichtsunterlagen heißt es, daß Assange durch seine Handlungen Leben in Gefahr gebracht habe. Die Aktivitäten von Wikileaks, wie das Hacken von Regierungscomputern, sollen gegen das Spionagegesetz verstoßen haben. Ebenfalls soll seine Mittäterschaft bei Beschaffung, Entgegennahme und Veröffentlichung klassifizierter Datenbanken dazu geführt haben, die Sicherheit und Freiheit der USA, ihrer Verbündeten, von afghanischen und irakischen Informanten, sowie religiösen Führern, Menschenrechtsverteidigern und politischen Dissidenten aus repressiven Regimen riskiert haben.

2012 war Assange in die ecuadorianische Botschaft in London geflohen, als gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen angeblicher sexueller Übergriffe in Schweden eingeleitet worden war, das schließlich eingestellt wurde. Nach eigenen Angaben hatte er sich zu diesem Schritt entschieden, weil er befürchtete, daß „seine Menschenrechte verletzt würden“, wenn es zu einer Auslieferung gekommen wäre. Er blieb sieben Jahre lang in der Botschaft, bis er 2019 entlassen wurde. Seitdem ist er im Hochsicherheitstrakt des Londoner Belmarsh-Gefängnisses inhaftiert.

Dem 50jährigen Assange droht eine Haftstrafe von bis zu 175 Jahren. Die US-Behörden versicherten den britischen Richtern aber, daß er jede in den Vereinigten Staaten verhängte Haftstrafe in seinem Heimatland Australien verbüßen könne, sofern sie seiner Auslieferung zustimmten. Seine Anwälte argumentieren seit langem, er habe „als Journalist gehandelt“ und deshalb Anspruch auf den Schutz der Meinungsfreiheit nach dem ersten Verfassungszusatz der USA. Er habe lediglich durchgesickerte Dokumente veröffentlicht, die Fehlverhalten des US-Militärs im Irak und in Afghanistan aufgedeckt hätten, erklären sie gegenüber BBC News.

Stella Morris, seine Verlobte und Mutter seiner zwei kleinen Kinder, sagte, daß sie gegen diese Entscheidung „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ Berufung einlegen werde. Die Südafrikanerin bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als „gefährlich und fehlgeleitet“ und einen „schweren Justizirrtum“. „Wie kann es fair sein, wie kann es richtig sein, wie kann es möglich sein, Julian an das Land auszuliefern, das seine Ermordung geplant hat?“ fügte Morris hinzu. Amnesty International hat die USA aufgefordert, die Anklagen gegen Assange zurückzunehmen. „Die Behörden in den USA müssen die Spionagevorwürfe und alle anderen Anklagen gegen Julian Assange, die sich auf seine Veröffentlichungstätigkeit im Rahmen seiner Arbeit mit Wikileaks beziehen, fallenlassen“, erklärte Amnesty International. „Die unerbittliche Verfolgung von Julian Assange durch die US-Regierung, weil er Dokumente veröffentlicht hat, die mögliche Kriegsverbrechen des US-Militärs beinhalten, ist nichts weniger als ein umfassender Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung.“

Ob eine erneute Berufung Erfolg hat, ist unklar. Das letzte Wort liegt nun bei Innenministerin Priti Patel. Doch kann sich eine Tory-Politikerin, deren Land zur Geheimdienstallianz „Five Eyes“ gehört, wirklich gegen Washington stellen?

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