© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/21 / 17. Dezember 2021

Schwarz ist nur noch der Talar
Studie: In ethischen Fragen ticken evangelische Pfarrer überwiegend linksliberal/ „Tendenz zu moralisierender Bevormundung“
Christian Vollradt

Der Heilige Abend naht in großen Schritten und damit auch der Zeitpunkt, an dem viele, die sich das Jahr über der Kirche eher fernhalten, einen Gottesdienst besuchen – so selbiger trotz coronabedingter Einschränkungen stattfindet. Mancher wird dabei die Erfahrung machen, daß dort dann weniger die Weihnachtsgeschichte als eher eine politische Botschaft im Zentrum der Predigt steht. 

Doch stimmt das häufig bemühte Klischee, die – evangelische – Kirche sei mittlerweile inhaltlich kaum noch unterscheidbar von den Grünen? Jein, lautet die Antwort des Theologen Alexander Dietz. Der Professor für Religionspädagogik und Diakonie an der Hochschule Hannover hat jüngst eine Studie basierend auf einer repräsentativen Befragung von Pastoren und Religionspädagogen veröffentlicht.  

Danach werde der Vorwurf, die Kirche würde zu einer reinen „Moralagentur“, die Glaubensfragen zunehmend ausklammere, nicht erhärtet. Nach wie vor spielten auch dogmatische Inhalte eine wichtige Rolle in der Praxis der Verkündung. Allerdings gebe es in der Kirche „eine Tendenz zur moralisierenden Bevormundung“. Vor allem aber sieht der Studienautor in ethischen Fragen tatsächlich eine fragwürdige Verengung. Dietz schreibt: „Linksliberale ethische Inhalte haben für die verkündigende und pädagogische Tätigkeit einer überwiegenden Mehrheit in allen befragten Berufsgruppen eine wichtige Bedeutung, während konservative ethische Inhalte nahezu gar keine Rolle spielen.“ 

So seien beispielsweise 85 Prozent der Befragten davon überzeugt, daß die Forderung „Schöpfung bewahren durch Klimaschutz“ für ihre Tätigkeit einen hohen oder eher hohen Stellenwert hat. Sehr bedeutsam sei auch eine „Willkommenskultur gegenüber Migranten“ (83 Prozent), und für 69,2 Prozent gilt das auch bezüglich der „Toleranz gegenüber unterschiedlichen sexuellen Orientierungen“. Deutlich weniger Anklang finden der Studie zufolge konservative ethische Inhalte: Für 27,4 Prozent ist relevant, den „gesetzlichen Schutz des ungeborenen Lebens zu verbessern“, für noch weniger Befragte spielt die „Verpflichtung der Gesellschaft auf eine christliche Leitkultur“ eine Rolle (24,3 Prozent) und für lediglich 11,6 Prozent das „Leitbild der traditionellen Familie“.

„Repräsentationslücke für konservative Positionen“

Auch bei den geistlichen Überzeugungen rangiert der Zusammenhang mit der Schöpfung ganz oben: Daß Gott Himmel und Erde erschaffen hat, ist für 86 Prozent der befragten Theologen wichtig. Die Auferstehung Jesu von den Toten immerhin für 84,8 Prozent, doch das dem folgende „Jüngste Gericht“ hat für lediglich 12,4 Prozent einen hohen Stellenwert. Bei den reformatorischen Bekenntnissen dominiert die „Rechtfertigung nicht durch gute Werke“ (78 Prozent) noch vor der „Bibel als Richtschnur“ (64,5 Prozent). Knapp die Hälfte (49,8 Prozent) hält für relevant, daß „Christus der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen“ ist. Dietz hält diese vereinfachend als „linksliberal“ bezeichnete Schlagseite in politisch-ethischen Fragen für bedenklich. Denn so entstehe eine „Repräsentationslücke“ für „konservative Positionen, die in früheren Zeiten einmal innerkirchlich mehrheitsfähig waren“. Das drohe den Versöhnungsanspruch des Evangeliums zu unterlaufen. 

Zweifelhaft erscheint in diesem Zusammenhang, daß diese (politische) Zielgruppenarbeit der Protestanten in Sachen Klimaschutz wirklich fruchtbar ist. Denn immerhin verzichteten 100 Prozent der neuen grünen Bundesminister bei ihrer Vereidigung auf den Zusatz „so wahr mir Gott helfe“.