© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/21 / 17. Dezember 2021

Auf Kosten der Sparer
Hinter der Inflation steckt eine planmäßige Enteignungsstrategie
Ulrich van Suntum

Im November sind die Verbraucherpreise um 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Für vergleichbare Inflationsraten in Deutschland muß man schon bis in die 1980er Jahre zurückgehen. EZB-Direktorin Isabel Schnabel findet dennoch, mittelfristig sei die Geldentwertung sogar eher noch zu niedrig. Das ist völlig absurd, vor allem, wenn man die Preise auf der Erzeugerstufe hinzunimmt. 

Diese stiegen im Oktober um 18,4 Prozent, den höchsten Wert seit 1951. Und darin ist im Gegensatz zum Verbraucherpreisindex nicht einmal die Mehrwertsteuererhöhung enthalten. Vielmehr haben wir es inzwischen mit einer handfesten Stagflation zu tun, also dem Zusammentreffen von stagnierender Produktion und stark steigenden Preisen. 

Seit der Finanzkrise 2008 hat die Europäische Zentralbank die Geldmenge (in der üblichen Abgrenzung M3) um nicht weniger als 67 Prozent steigen lassen. Im selben Zeitraum nahm aber die reale Wirtschaftsleistung im Euroraum nur um knapp acht Prozent zu.

 Dieses Mißverhältnis führte zu einem gewaltigen Geldmengenüberhang, der sich jetzt lawinenartig in Bewegung setzt. Zudem hat die Corona-Pandemie weltweit und auch in Deutschland zu Produktionsausfällen und Lieferengpässen geführt. Regierungen und Zentralbanken versuchten, dies durch massive Schuldenaufnahme und das Drucken von Geld auszugleichen. Damit aber gossen sie letztlich nur Öl ins Feuer, denn bei stockendem Angebot stiegen dadurch erst recht die Preise.

Thomas Mayer vom Kölner Flossbach von Storch Research Institute hat in seiner am vergangenen Freitag veröffentlichten Forschungsarbeit „Die Irrfahrten der Geldpolitiker“ errechnet, wie man den Inflationsgeist wieder zurück in die Flasche bekommen könnte. Demnach müssen wir in den nächsten Jahren selbst dann mit Inflationsraten von vier bis acht Prozent rechnen, wenn die EZB sofort gegensteuern würde. Die aber denkt gar nicht daran, sondern verdrängt das Problem. Sie handele, so der frühere ifo-Chef Hans-Werner Sinn, wie ein Kutscher, dem die Pferde durchgehen und der hofft, daß diese von alleine müde werden. Damit ist allerdings kaum zu rechnen, denn eine einmal in Gang gekommene Inflation entfaltet ihre eigene Dynamik: Steigende Preise führen zu steigenden Löhnen, diese verteuern wiederum die Produktion. Hinzu kommt ein als Hawtrey-Effekt bekanntes Verhalten der Verbraucher: Wenn das Geld an Wert verliert, versuchen sie es um so schneller auszugeben oder in Immobilien oder andere Sachgüter zu investieren, was wiederum die Preise treibt.

Am Ende zahlt vor allem das mittelständische Bürgertum die Zeche. Denn während Löhne, Renten und Sozialleistungen früher oder später an die Inflation angepaßt werden, verlieren Ersparnisse dauerhaft an Wert. Seit seiner Einführung 1999 bis heute hat der Euro schon 40 Prozent seines ursprünglichen Wertes eingebüßt. Der Euro des Jahres 2021 ist also, in damaliger Kaufkraft gerechnet, heute nur noch 60 Cent wert, und dies trotz der bisher meist moderaten Inflationsrate. 

Die jüngste Entwicklung läßt daher für die Sparer das Schlimmste befürchten, zumal sie auf liquide Geldanlagen nicht einmal mehr Zinsen erhalten. Lachende Profiteure der Geldentwertung sind dagegen die Schuldner, allen voran der Staat selbst. Denn seine Schulden werden in realer Kaufkraft gerechnet, immer geringer, ohne daß der Finanzminister etwas dafür tun müßte. Schon immer in der Geschichte haben Regierungen diesen Weg der indirekten Enteignung ihrer Bürger genutzt, um sich aus der eigenen Überschuldung zu befreien.

Oft wird behauptet, man könne sich dem durch Umschichtung seiner Ersparnisse in Realanlagen entziehen. Das funktioniert aber aus zwei Gründen nicht: Erstens ist beim Kauf etwa einer Aktie das Geld ja nicht weg, sondern es hat jetzt nur ein anderer, und damit auch das gleiche Problem. Und zweitens hat der Staat stets Mittel und Wege gefunden, solche Rettungsstrategien zu vereiteln. So müssen etwa realisierte Kursgewinne bei Aktien versteuert werden, selbst wenn sie nur die Geldentwertung widerspiegeln. Das gleiche gilt für sogenannte Spekulationsgewinne bei Immobilien, deren Eigentümer man als angebliche Inflationsgewinner zusätzlich noch mit „Lastenausgleichszahlungen“ schröpfen kann. Das gilt im Prinzip auch für private Goldanlagen, die in den USA zeitweise sogar schlicht verboten wurden.

Klagen gegen solche Machenschaften waren bisher meist erfolglos. Mehrfach hat etwa das Bundesverfassungsgericht das sogenannte Nominalwertprinzip bei der Besteuerung bestätigt. Demnach komme es etwa bei Wertpapiererlösen nur auf die nominalen Eurobeträge und nicht auf deren realen Wert an. 

Wer also zum Beispiel auf seine Geldanlage drei Prozent Zinsertrag erzielt bei einer Inflationsrate von ebenfalls drei Prozent und somit gar nichts verdient hat, muß trotzdem den nur scheinbaren Gewinn voll versteuern. Das zeigt nicht nur die geringe ökonomische Kompetenz vieler Verfassungsjuristen, sondern auch die fast völlige Hilflosigkeit insbesondere mittelständischer Bürger und Betriebe gegenüber einem sie skrupellos ausbeutenden Staat.

Unter der Ampelregierung dürfte dies kaum besser werden. Schon im Koalitionsvertrag heißt es in unfreiwilliger Komik, der europäische Stabilitätspakt habe „seine Flexibilität bewiesen“. Kaum im Amt, hat Lindner denn auch bereits Verständnis für den französischen Wunsch nach einer weiteren Lockerung geäußert. Er ging auch gleich mit schlechtem Beispiel voran und steckte 60 Milliarden Euro nicht benötigter Corona-Kredite in einen Schattenhaushalt zwecks Umgehung der Schuldenbremse. Damit ist von der FDP auch kaum mehr Widerstand gegen die immer weitere Geldentwertung zu erwarten. Ihren rot-grünen Koalitionspartnern dürfte sie ohnehin willkommen sein, denn deren Wählerklientel ist mangels Geldvermögens davon kaum betroffen. Die Fleißigen und Sparsamen im Lande dagegen kann man kaum eleganter und perfider enteignen. Wer sollte auch sonst am Ende für die vielen teuren Projekte des Koalitionsvertrages aufkommen? 






Prof. Dr. Ulrich van Suntum lehrte von 1995 bis 2020 VWL an der Universität Münster.