© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/21 / 17. Dezember 2021

Streit um Architektur
Suspekte Schönheit
Dieter Stein

Es hat kollektiv-tiefenpsychologische Gründe, weshalb wir Deutsche Probleme mit der Form haben: ob es um staatliches Zeremoniell, Auftreten politischer Repräsentanten oder öffentliches Bauen geht. Architektur ist dabei steingewordener Ausdruck des Selbstbewußtseins eines Gemeinwesens.

Regelmäßig befällt uns Ratlosigkeit, wenn wir neugestaltete Plätze in deutschen Städten betreten. Großspurigkeit mischt sich mit kleinkarierter Leere. Bundeskanzleramt und das Paul-Löbe-Haus des Bundestages im Machtzentrum der Nation verströmen den Charme eines Heizkraftwerks oder einer Amazon-Lagerhalle auf grüner Wiese.

Dabei gibt es eine große Sehnsucht nach Schönheit, insbesondere nach Wiederherstellung des im Kriege zerstörten Antlitzes unserer Städte: Den symbolträchtigen Anfang setzte der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche, der die Welt rührte und inzwischen zur Rekonstruktion des historischen Altstadtkerns führte. Ermuntert davon initiierte Wilhelm von Boddien den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, wenigstens in Form der historischen Fassade.

Es gibt eine große Sehnsucht nach der Wiederherstellung des im Krieg zerstörten Antlitzes unserer Städte.

Gegen welche massiven politischen Widerstände sich diese Rekonstruktionen durchsetzen müssen, zeigt sich aktuell: Linke Stadtplaner und Publizisten haben ihre Niederlage nicht verwunden und versuchen jetzt, in Etappen Gelände zurückzugewinnen. So werden beim Stadtschloß Kuppelkreuz und die Kuppelinschrift attackiert. Auf Betreiben rot-rot-grüner Regierungspolitiker in Berlin distanziert sich das Humboldt-Forum öffentlich vom „Herrschaftsanspruch des Christentums“ und plant, die Inschrift nachts mit einer Leuchtschrift zu überstrahlen, die Grundgesetz und Menschenrechte zitiert.

In Potsdam geht indes der Kleinkrieg um die Wiederherstellung der nach dem Krieg vom SED-Regime gesprengten Garnisonkirche weiter. Der Bau des Glockenturms ist weit fortgeschritten. Jetzt wird die naheliegende Option der Rekonstruktion des Kirchenschiffs sabotiert. Als Ergebnis eines „Design Thinking Prozesses“ will der SPD-Oberbürgermeister statt dessen ein „Haus der Demokratie“ schaffen.

Überall sollen, wenn Rekonstruktionen gegen den Willen der Bürger nicht zu verhindern sind, diese wenigstens „gebrochen“, kulturell „dekonstruiert“ werden. Als letztes Mittel werden altruistische Förderer der idealistischen Bürgerinitiativen denunziert, wie im Fall des Berliner Stadtschlosses, wo Antifa-Journalisten unter Zehntausenden Spendern „Rechte“ erschnüffeln und an den politisch-korrekten Pranger stellen. Der „woke“ Irrsinn kennt kein Halten mehr: In Bremen wollen linke Stadtpolitiker jetzt das 110 Jahre alte Reiterdenkmal Bismarcks beseitigen. Gegen diesen Bildersturm müssen sich Bürger gemeinschaftlich wehren.