© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Ende der grünen Geschlossenheit
Die Ampel steht: Kommende Woche kann Olaf Scholz Kanzler werden/ Postengeschacher bei den Grünen
Peter Möller

Die Inszenierung war fast perfekt. Als das Spitzenpersonal von SPD, Grünen und FDP Mitte vergangener Woche im Berliner Westhafen medienwirksam seinen Koalitionsvertrag präsentierte, schien es ein Parteienbündnis neuer Art zu repräsentieren. Schon die Verhandlungen hatten, so zumindest der nach außen vermittelte Eindruck, fair und ohne größere Auseinandersetzungen stattgefunden. Die in Berlin typischen „Durchstechereien“ von Informationen aus internen Runden fanden zum Entsetzen der Journalisten praktisch nicht statt. Auch von persönlichen Animositäten zwischen den Verhandlern wurde nichts bekannt. Viele politische Beobachter rieben sich angesichts dieser geräuschlosen Regierungsbildung verwundert die Augen.

Diese Verwunderung hielt nicht lange an. Ausgerechnet die Grünen, die bereits im Wahlkampf eine ungewohnte Geschlossenheit an den Tag gelegt hatten, fügten der auf Hochglanz polierten Außendarstellung der Ampel-Koalition erste Kratzer zu. Anlaß war, wie sollte es anders sein, die Verteilung der Ministerposten, die der Partei zustehen. Daß die Parteichefs Annalena Baerbock (Außenministerium) und Robert Harbeck („Superministerium“ Wirtschaft und Energie sowie Vizekanzler) im Kabinett eines künftigen Bundeskanzlers Olaf Scholz als Minister gesetzt sind, daran bestand nie ein Zweifel. 

Doch damit endete die Einmütigkeit bei den Grünen, die Ende vergangener Woche ein heftiges Wiederaufleben längst vergessener Flügelkämpfe zwischen „Realos“ und Parteilinken erlebten. Auslöser für den Streit, an dessen Ende die Galionsfigur des linken Flügels, Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter, bei der Vergabe der begehrten Ministerposten leer ausging, war der wachsende Druck innerhalb der Partei, einen Politiker mit Migrationshintergrund ins Kabinett zu schicken, um dem eigenen Anspruch auf „Vielfalt“ gerecht zu werden. 

Ein Gelber als Bollwerk gegen die grüne Verkehrswende?

Daß es dabei immer um den früheren Parteichef Cem Özdemir ging, war allen Beteiligten von Anfang an klar. Am Ende entschied er das Rennen für sich und schnappte Hofreiter das Landwirtschaftsministeriums weg. Daß der Realo Özdemir damit den linken Hofreiter verdrängte, hatte eine Kettenreaktion zur Folge, die am Ende auch die zum Realo-Flügel zählende Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt das erhoffte Familienministerium kostete. Dieses Ressort übernimmt nun die Parteilinke Anne Spiegel, derzeit noch Umweltministerin in Rheinland-Pfalz. Als Bundesumweltministerin wurde vom Parteivorstand die frühere Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, nominiert. Die bisherige Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth – eine Parteilinke – soll das Amt der Staatsministerin für Kultur und Medien übernehmen.

Seit das Personaltableau der Grünen bekannt ist, wird in Berlin gerätselt, welche Auswirkungen die kurze, aber heftige Auseinandersetzung auf die Ampel-Koalition haben wird. Denn klar ist, daß der linke Parteiflügel nach dem Ausbooten ihrer Führungsfigur Hofreiter nicht einfach zur Tagesordnung übergehen wird. Der Partei, und damit auch der nächsten Bundesregierung, könnten ungemütliche Zeiten bevorstehen. Erste Nagelprobe wird der digitale Parteitag im Januar sein, auf dem eine neue grüne Führungsspitze gewählt werden muß.

Weitgehend geräuschlos verlief dagegen die Postenvergabe bei der FDP. Mit dem Anspruch von Partei- und Fraktionschef Christian Lindner, für seine Partei das Finanzministerium zu beanspruchen, war die FDP bereits in die Koalitionsverhandlungen gegangen. Alles andere als ein Finanzminister Christian Lindner wäre für die Verhandlungsführer der Liberalen kaum akzeptabel gewesen. Auch die Übernahme des Justizministerium dürfte ganz nach dem Geschmack der Partei-Führung und vieler FDP-Anhänger sein, eignet sich dieses Ressort doch bestens dazu, den eigenen Anspruch als Freiheits- und Rechtstaatspartei zu untermauern. Mit dem bisherigen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, übernimmt ein enger Vertrauter Lindners das Amt des Justizministers. Nicht nur für die Liberalen überraschend dürfte die Übernahme des Verkehrsministeriums durch Generalsekretär Volker Wissing sein. Für die FDP bietet dieses Ministerium indes die Chance, die Träume der Grünen von einer umfassenden „Verkehrswende“ auszubremsen und sich als Streiter für den Individualverkehr in Deutschland zu profilieren. Bundespolitisch bislang eher unbekannt ist die künftige Bildungsministerin, die hessische FDP-Landeschefin Bettina Stark-Watzinger. Die Finanzexpertin genießt in ihrer Partei einen guten Ruf und zählte zum Kernverhandlungsteam der FDP bei den Koalitionsverhandlungen.

Während bei den kleineren Koalitionspartnern die Personalfragen weitgehend geklärt sind, gibt es bei der SPD bislang noch viele Fragezeichen. Klar ist bislang nur, daß Olaf Scholz in der kommenden Woche im Bundestag zum Kanzler gewählt werden soll. Darüber hinaus gilt der bisherige Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil für diesen Posten auch in der künftigen Bundesregierung als gesetzt. Als wahrscheinlich gilt zudem, daß der langjährige Scholz-Vertraute und derzeitige Finanz-Staatssekretär Wolfgang Schmidt den Posten des Kanzleramtsministers übernehmen wird. Doch bei der Besetzung der weiteren SPD-Ministerien (Verteidigung, Innen, Gesundheit, Entwicklungshilfe und Bauen) gibt sich die Parteiführung bislang sehr zurückhaltend. Über Personen werde erst gesprochen, wenn die Partei auf dem für diesen Samstag geplanten Sonderparteitag den Koalitionsvertrag abgesegnet hat, lautet die vorgegebene Linie.

Klingbeil ist als Minister aus dem Rennen

Besonders wild wird über die Besetzung des Gesundheitsministeriums spekuliert, einen Posten, der angesichts der Corona-Pandemie als das schwierigste und herausforderndste Amt in der neuen Bundesregierung gilt. Vor allem außerhalb der SPD mehren sich die Stimmen derjenigen, die Karl Lauterbach, der sich in der Öffentlichkeit als ständiger Gast in Talkshows einen Namen als Corona-Experte gemacht hat, als künftigen Gesundheitsminister sehen möchten. Doch der Mediziner gilt vielen in der eignen Partei als zu eigenwillig und nicht ministrabel. Mehr Chancen auf das Amt hat dem Vernehmen nach Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping. Allerdings hat Köpping entsprechende Spekulationen bislang immer mit dem Hinweis zurückgewiesen, sie wolle nicht nach Berlin, da es in Sachsen genug zu tun gebe. 

Gut möglich, daß Scholz auch diesen wichtigen Posten mit einem Vertrauten besetzt: mit seinem Nachfolger im Amt des Ersten Bürgermeisters von Hamburg, Peter Tschentscher. Der habilitierte Mediziner wäre in den Augen von Beobachtern fachlich die ideale Besetzung für das Gesundheitsministerium. Hinzu kommt, daß Tschentscher als Bürgermister eine konsequente Corona-Politik in Hamburg verfolgt hat.

Klar ist dagegen, wer nicht Verteidigungsminister wird: SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, der in Berlin lange für diesen Posten gehandelt wurde. Doch nach seiner Kandidatur für das Amt des SPD-Parteichefs ist der Niedersachse aus dem Rennen. Für die SPD macht sich der Abgang mehrerer Verteidigungsexperten schmerzhaft bemerkbar. Es kursierte der Name Siemtje Möller, auch wenn sie noch nicht lange verteidigungspolitische Sprecherin ist. Dagegen scheint die Besetzung des Innenministeriums bereits entschieden zu sein: Hier dürfte die bisherige Justizministerin Christine Lambrecht, die seit dem Rücktritt von Franziska Giffey auch das Familienministerium führt, auf Horst Seehofer (CSU) folgen.

Foto: Fraktionschef Anton Hofreiter, künftiger Minister Cem Özdemir: Realo verdrängt Linken