© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Wenn Enten geschrieben steht, sind die Erpel auch mitgemeint; ebenso bei Hunden die Rüden und bei Pferden die Stuten, bei Heuschrecken die Heuschreckinnen usw.“ (Hinweis auf der Netzseite der Schweizerischen Gesellschaft für Symbolforschung)

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Das Ziel ist das Ziel.

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Die Dame steht auf dem Parkplatz und hat mit einiger Mühe das Kabel an ihren Elektro-SUV gebracht. Gleichzeitig herrscht sie über das Mobiltelefon ihren „Ex“ an, weil die „Familienkarre“ auf der Fahrt wieder Mucken machte. Ja, keift sie unter freiem Himmel, sie habe auf einem Elektrofahrzeug bestanden, wegen des ökologischen Fußabdrucks, aber nein, sie akzeptiere nicht, daß sie sich jetzt aufwendig mit dessen Technik befassen solle. Das sei schließlich seine Aufgabe, er sei der Mann, sie müsse sich um zwei Kinder kümmern, die auch seine Kinder seien. Der Nachwuchs, noch nicht im Grundschulalter, spielt derweil ganz unbekümmert zwischen rangierenden, ein- und ausfahrenden Pkws.

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Auch eine Art Irredentismus: in Südtiroler Kneipen, Supermärkten, Restaurants, teilweise sogar in öffentlichen Einrichtungen, läuft notorisch irgendein österreichischer Unterhaltungssender.

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Der Pater, ein irgendwie aus der Zeit gefallen wirkender Benediktinermönch, führt die Touristenschar durch die wunderbar ausgemalte Krypta und traktiert sie fast eine Stunde mit Ausführungen zu „monastischen Prinzipien“, der „englischen Lehre“ und den Vorstellungen des Dionysius Areopagita. Unverkennbar begreift kaum jemand, wovon die Rede ist, aber die umfassende Bildung des geistlichen Herrn wirkt so autoritativ, daß keiner Nachfragen stellt oder sich gar zu beschweren wagt.

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Unerwartet: Regelmäßige Zustimmung zu den Kommentaren Susanne Gaschkes.

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Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat ihre Ausgabe vom 30. Oktober Frankfurt und seiner Region sowie der Frage gewidmet, welche Bedeutung die Stadt samt Umland für das große Ganze hat. Selbstverständlich fällt die Bilanz positiv aus, auch im Hinblick darauf, daß die biodeutsche Bevölkerung mittlerweile nur noch eine Minderheit stellt (Hurra!). Aufschlußreicher als das ist, welche Stichpunkte nicht vorkommen: Kaiserstraße, Bahnhofsviertel, Taunusanlage, offener – harter – Drogenkonsum, Bettelei, Verwahrlosung, Lagern von ganzen Gruppen mit nomadischem Hintergrund vor Geschäften oder auf anderen freien Plätzen. Dafür hat man die Seite 3 dem Thema Antisemitismus und Moslemfeindlichkeit gewidmet. Die Hauptverursacher des ersteren bleiben aber merkwürdig undeutlich, wenngleich es den Hinweis gibt, daß Judenhaß in bestimmten Vierteln konzentriert auftritt. Zwecks Erklärung des letzteren muß man auf summarisches Gerede über Rassismus in der Gesamtgesellschaft und – selbstverständlich – den Anschlag in Hanau ausweichen.

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Was als moderne Kunst geboten wird, wäre ein wesentlich geringeres Ärgernis, wenn sich dafür nur Fachleute, Insider und Spekulanten interessieren würden. Aber es ist nun einmal so, daß die öffentliche Hand das Zeug ankauft und in Museen präsentiert. Die Vergeudung der Steuergelder ist das eine, das Verstopfen der Ausstellungsräume mit Häßlichem, Sinnlosem, Verstörendem, Deprimierendem das andere.

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Der aktuelle Bürgerkrieg in Äthiopien wie der drohende Regimekollaps könnte für Postkolonialisten Anlaß zum Nachdenken sein. Hier ein paar Impulse: Wieso ist der einzige Staat Afrikas, der (abgesehen von ein paar Jahren) nie Opfer weißer Imperialisten war, notorisch instabil? Warum bringen die dort lebenden Völker, obwohl es sich kaum um die „Erfindung“ europäischer Herrenmenschen handelt, kein friedliches Miteinander zustande? Was erklärt das erschütternde Niveau im Hinblick auf Ordnung, Rechtssicherheit, Versorgung der Einwohner, also all das, was man nach westlichen Maßstäben „Entwicklung“ nennt?

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Die Einlassung der geschäftsführenden Bundeskanzlerin beim Besuch des Auswanderermuseums in Bremerhaven, es gehe beim „Thema Flucht, Vertreibung, Migration, Auswanderung, Einwanderung“ immer „um Menschen“, denn es seien „nicht die Deutschen, die ausgewandert sind, und es sind nicht die Syrer oder Afghanen, die kommen, sondern es sind immer auch einzelne Menschen“ ist – abgesehen von dem relativierenden „auch“ – entlarvend. Da zu befürchten steht, daß die Regierungschefin das, was sie sagt, tatsächlich glaubt und nicht nur vorschiebt, machen die Äußerungen noch einmal ihre Fremdheit gegenüber den Forderungen des Amtes deutlich: Beginnend mit der Unfähigkeit, ein politisches Problem politisch zu erfassen, über die weibliche Note, die darin zum Ausdruck kommt, sich der Sentimentalität hinzugeben, endend mit dem Unwillen oder der Unfähigkeit, sachlich zu bleiben und die gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, auch wenn dafür kein Beifall zu erwarten ist.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 26. November in der JF-Ausgabe 48/21.