© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

Mehr als Unbehagen in der Massenzivilisation
Heimat im Mainstream
(wm)

Der „Heimatkanal“, ein Bezahlsender, der aber im Unterschied zum öffentlich-rechtlichen GEZ-TV nur dank freiwilliger Überweisungen existiert, feierte in diesem Jahr 25. Geburtstag. Michael Bittner, Kolumnist des Alt-68er-Magazins Konkret (10/2021), gibt die derart lange Lebensdauer eines Senders, „von dem Lifestyle-Linke und andere Wurzellose nie gehört haben“, ein großes Rätsel auf. Töne es nicht seit Jahren, die Digitalisierung werde die hergebrachten Wahrnehmungsgewohnheiten aller Medienkonsumenten revolutionieren? Und haben nicht Soziologen unisono vorausgesagt, die Globalisierung verflüssige sämtliche Grenzen, mache Menschen mobil und werde den Begriff „Heimat“ der Lächerlichkeit preisgeben? Stattdessen schalten täglich 225.000 Bundesbürger einen antiquiert wirkenden Sender ein, um sich an Volksmusik, historischen Heimatfilmen, aktuellen Regionalserien und Bauerntheater zu erfreuen. Als wäre höhere Ironie am Werk, verantworte eine „Mainstream Media AG“ dieses Programm, deren Sprecher versichert, Quoten und Erlöse seien stabil. Wer glaube, die offenkundig ungebrochene Nachfrage nach „Heimat“ als illusionäre Kompensation für Leute abtun zu können, die am Unbehagen in der Massenzivilisation leiden und die sich das kindliche Glück des „einfache Lebens“ (Ernst Wiechert) zurückwünschen, verstehe die Botschaften des „Heimatkanals“ falsch. Denn dessen „künstliche Heimat“ spare soziale Konflikte keineswegs aus. Nur werde suggeriert, sie seien in der Provinz besser lösbar als in den Metropolen. Nach diesem „Stadt gegen Land“-Rezept funktionierten selbst aktuelle Bestseller der „Hochkultur“ wie Juli Zehs Roman „Über Menschen“. 


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