© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Frisch gepreßt

Spengler. Daß das Werk des Geschichtsdenkers Oswald Spengler (1880–1936) unvermindert Funken sprüht, bestätigt die Lektüre der jüngsten Aufsatzsammlung, die die rührige, nach dem Verfasser von „Der Untergang des Abendlandes“ benannte Gesellschaft herausgegeben hat. Zu Recht stellt daher Alexander Demandt, Altmeister der Spengler-Forschung, in seinem Beitrag über „Spenglers Metaphorik“ fest: „Die Fragen, die er aufwirft, bleiben bestehen, auch wenn nicht alle seine Antworten überzeugen. Sieben seiner Kulturkreise sind erkennbar, viele Zusammenhänge unter den Kulturerscheinungen, die Unterscheidung zwischen Kultur und Zivilisation sind sinnvoll. Die Wiederholbarkeit der Fellachisierung, die Geldherrschaft in der modernen Demokratie, die politische Prognose einer ‘farbigen Revolution’, all das ist noch nicht widerlegt, und der Kampf um die Weltherrschaft, den er 1933 voraussah, ist noch nicht verabschiedet.“ Ebensowenig wie Spenglers soziobiologische und evolutionstheoretische Einsichten, die der Ökonom Max Otte fruchtbar macht, um „Phänomene der Spätzeit“ in den Blick zu nehmen, wie die sich in der Akzeptanz der Islamisierung niederschlagende kulturelle Selbstaufgabe Europas oder den Transhumanismus der Ideologen des Silicon Valleys. Denen sei der „Untergang des Abendlandes“ bestenfalls die Ouvertüre für das von ihnen  projizierte „Ende der Spezies Mensch“ – „zumindest wie wir sie kennen“. (dg) 

David Engels, Gerd Morgenthaler, Max Otte (Hrsg.): Oswald Spengler in einem Zeitalter der Globalisierung. Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, Lüdinghausen 2021, gebunden, 304 Seiten, 25 Euro





Helmholtz. Die letzte umfassende Biographie über Hermann von Helmholtz (1821–1894) aus der Feder Leo Koenigsbergers erschien 1902/03 in drei Bänden. Seitdem wurden über den „Reichskanzler der Physik“ zwar Spezialstudien in schier unüberschaubarer Fülle publiziert, aber eine Gesamtdarstellung auf dem Niveau Koenigsbergers blieb Desiderat. Diese gewaltige Lücke ist dank David Cahan geschlossen worden. Der US-Wissenschaftshistoriker (Universität Nebraska-Lincoln), der sein Forscherleben seit Jahrzehnten dem preußischen Universalgenie widmet, legte seine opulente Helmholtz-Biographie bereits 2018 in englischer Sprache vor, die, pünktlich zum 200. Geburtstag übersetzt, jetzt auch in deutscher Fassung greifbar ist. Wie Nathalie von Siemens, die Ur-Urenkelin des Arztes, Physikers, Physiologen Naturphilosophen, Kulturpolitikers und Wissenschaftsmanagers in ihrem Geleitwort schreibt, sollte dieses unendlich kenntnisreiche, gleichwohl nie den Überblick über 10.000 Details verlierende und erfreulich leicht lesbare Monumentalwerk als „Einladung“ betrachtet werden, mit dem außergewöhnlichen, 1883 nobilitierten Gelehrten Helmholtz auf die Reise zu gehen und „seinen Umgang mit Komplexität“ in eine Gegenwart zu holen, die in beunruhigender Weise wieder Gefallen daran findet, plump schwarz-weiße Weltbilder zu erzeugen und sie in „einfacher Sprache“ zu vermitteln. (wm)

David Cahan: Helmholtz. Ein Leben für die Wissenschaft. WbgTheiss Verlag, Darmstadt 2021, gebunden, 992 Seiten, Abbildungen, 89 Euro