© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

Ein grünes Sommermärchen
McKinsey-Studie: Die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft kostet sechs Billionen Euro
Reiner Osbild

Beim Versprechen „Klimaneutralität“ sind sich die drei Kanzlerkandidaten weitgehend einig. Über die Kosten werden die Wähler im unklaren gelassen. Die Düsseldorfer Unternehmensberatung McKinsey & Company legte nun eine Schätzung vor: Sechs Billionen Euro müsse Deutschland aufwenden, rund 240 Milliarden Euro pro Jahr über 25 Jahre, welche dank „grüner“ Investmentprodukte ja bereits „da“ seien. So jedenfalls die Kernaussage der Studie „Net-Zero Deutschland – Chancen und Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045“.

Allerdings ist die konkrete Finanzierung – privat oder öffentlich – nicht so trivial, wie es auf den ersten Triell-Blick scheinen mag. Gerade private Investitionen benötigen Renditen – aber woher sollen diese kommen? Ferner, wie hoch sind die Verluste der „Old Economy“, und wer – wenn überhaupt – entschädigt sie? Schließlich: Sind die Rechnungen plausibel? Eine für unsere freiheitliche Ordnung wichtige Frage ist zudem, ob eine Transformation hin zu einer netto CO2-freien Gesellschaft im Rahmen einer Markt- oder einer Staatswirtschaft stattfindet.

Im ersten Fall entscheiden private Investoren über den Einsatz von Boden, Arbeit und Kapital; primär der Konsument entscheidet mit seinen Käufen über Gewinn und Rendite des Anbieters. Im zweiten Fall entscheidet der Staat über den Einsatz aller Produktionsfaktoren, wie etwa in der DDR. Dazwischen gibt es viele Mischformen. Schon jetzt fragt der deutsche Staat Güter und Dienstleistungen in Höhe von rund einer Billion Euro nach, was bereits vor Corona einer Staatsquote von 45 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsprach.

Auch die Konsum- und Investitionsentscheidungen des privaten Sektors drohen mehr und mehr von öffentlichen Regieanweisungen aus Berlin und Brüssel abhängig zu werden. Wir steuern damit auf einen Sozialismus ohne Fünfjahresplan, aber mit rigider obrigkeitsstaatlicher Lenkung unter dem allumfassenden Staatsziel „Klimaschutz“ zu. Würden die 240 Milliarden Euro jährlich aus öffentlichen Mitteln fließen, so würde das entweder eine massive Schuldenpolitik bedeuten, die letztendlich in eine Inflation münden würde – oder es müßte umgeschichtet werden, oder ein Mix aus beidem.

Was passiert mit den Beschäftigten und Firmen der „Old Economy“?

Der Investitionsbetrag entspricht in etwa den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) oder einem Viertel aller Staatsausgaben. Eine Umschichtung wird zu gravierenden Einschnitten bei anderen Investitionen und Sozialleistungen führen, so daß es zu einem wirtschaftlichen Einbruch auf breiter Front kommt. Den McKinsey-Optimismus, durch Umwidmung von Subventionen könnten fünf der sechs Billionen Euro, mithin 200 Milliarden Euro jährlich gegenfinanziert werden, muß widersprochen werden, da der gesamte Subventionsetat laut Finanzministerium 2019 lediglich 57,7 Milliarden Euro betrug. Würde der Staat die sechs Billionen Euro durch Steuererhöhungen gegenfinanzieren wollen, so müßte er sukzessive das gesamte Geldvermögen der Bundesbürger in der ein oder anderen Form wegsteuern, denn dieses liegt in eben jener Größenordnung.

Das ist sicherlich ein wichtiges Motiv bei den Vorschlägen rund um die Erhöhung bzw. Wiedereinführung der Erbschaft- und Vermögensteuer. Zukünftige Belastungen, etwa aus dem demographischen Wandel, könnten dann nicht mehr gestemmt werden. Allein der Barwert der anfallenden Beamtenpensionen beläuft sich nach Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft jetzt schon auf zwei Billionen Euro. Hinzu kommen Kostenexplosionen für Rente, Pflege und Grundsicherung.

Wenn aber private Investoren die Dekarbonisierung über den zwangsbegrünten Kapitalmarkt finanzieren, werden sie auf eine angemessene Rendite pochen. Diese kommt nicht aus einem kühleren Weltklima, denn weniger Unwetter, geringere Ernteausfälle und andere Vorteile sind keine monetären Erträge. Es sind, wenn man den Klimaaktivisten glauben mag, vermiedene Verluste, die über den ganzen Erdball streuen. Der Bauunternehmer, der emissionsfrei klimaneutrale Häuser anbietet, sieht davon nichts. Wenn die Rendite nicht durch horrende Preise der „klimaneutral“ produzierten Güter eingespielt werden soll, müßte der Staat mit Subventionen aushelfen. Das wäre finanzierbar, würde aber neue Probleme schaffen. Exportsubventionen für die E-Autoindustrie etwa könnten zu Gegenmaßnahmen bis hin zu einem Handelskrieg führen, unter dem am Ende die gesamte deutsche Wirtschaft leiden würde. Und was passiert mit der „Old Economy“ – von den Großunternehmen, über den Mittelstand bis hin zu ihren Beschäftigten? Denn Investitionen im nicht-grünen Bereich müßten unterbleiben oder zusammengestrichen werden. Damit werden außerhalb des ökologischen Farbenspektrums Innovation, Wertschöpfung, Wachstum, Forschung und Entwicklung ausgebremst. Arbeitsplätze fallen weg. Das koppelt zurück auf die Kaufkraft des Konsumenten sowie die Steuerkraft des Staates. Und ohne Energiesteuer auf Benzin und Diesel fehlen dem Fiskus etwa 40 Milliarden Euro. Ohne Kfz-Steuer – nach Hubraum und CO2-Ausstoß – fehlen weitere zehn Milliarden Euro.

Der dänische Statistiker Björn Lomborg weist auf offizielle Berechnungen der Regierung Neuseelands hin, wonach die dortige „Dekarbonisierung“ bis 2050 bis zu 61 Milliarden Dollar jährlich kosten würde. Nun hat der Inselstaat im Südpazifik statt 83 nur 5,1 Millionen Einwohner; das deutsche BIP ist 22mal so hoch. Würde man diese Werte linear auf Deutschland hochrechnen, so ergäben sich jährliche Kosten von 1.129 Milliarden Euro, also rund 28 Billionen Euro in einem Zeitraum von rund 25 Jahren. Die Erderwärmung, unter Anwendung der Berechnungsmodelle des Weltklimarates (IPCC) geschätzt, würde durch die Politik Neuseelands um 0,002 Grad abgemildert werden.

Im Endeffekt ein Null-Wohlfahrtsziel

Die realistischeren 28 Billionen Euro entsprechen den kumulierten Steuereinnahmen von zirka 37 Jahren, oder dem viereinhalbfachen des deutschen Geldvermögens. Deutschland hat laut EU-Report – wie etwa der Iran – einen Anteil von nur 1,8 Prozent an den „global fossil CO2 emissions“ – China kommt auf 30,3 Prozent – Tendenz steigend. Die 27 EU-Staaten und Großbritannien kommen zusammen nur auf 8,7 Prozent. Entsprechend gering wäre die verhinderte Erwärmung. Die Weltbevölkerung wächst laut UN bis 2050 von heute 7,8 auf über 9,7 Milliarden. Und jeder Dollar, der in die Dekarbonisierung investiert wird, erbringt laut Lomborg einen Ertrag von elf Cent – sprich: 89 Prozent Verlust. Das deutsche Null-Emissionsziel ist im Endeffekt ein Null-Wohlfahrtsziel, bei gleichem Weltklima.






Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ökonom und Ordinarius an der Hochschule Emden/Leer.

McKinsey-Studie „Net-Zero Deutschland“: www.mckinsey.de

Foto: Ladeanschluß-Klappe eines Elektroautos: Auch „grüne“ Investoren und Unternehmen müssen irgendwann eine Rendite im Markt erwirtschaften