© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Vom Schüler zum Weltmeister
Die Arbeit der Max-Planck-Gesellschaft in China im Spannungsfeld von Forschung und Ethik
Dirk Glaser

Im krassen Unterschied zur grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock oder so manchem deutschen Verfassungsrichter ist der Physiker Klaus Blaum wirklich gut ausgebildet. Nach Diplom (1997) und Promotion (2000) an der Universität Mainz forschte der Pfälzer am Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt und am Kernforschungszentrum in Genf (Cern). 2006 wurde er in Mainz im Spezialfach Hochpräzisionsmassenspektrometrie habilitiert. Ein Jahr später stieg er mit 35 Jahren zum Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg auf.

Für seine Arbeiten mit diversen nationalen und internationalen Preisen geehrt, ist der an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg lehrende Spitzenforscher seit einem Jahr Vizepräsident der Chemisch-Physikalisch-Technischen Sektion der Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Dort ist Klaus Blaum auch für die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China zuständig. Und die präsentiert er nun als einzigartige, in jüngster Zeit leider politisch belastete Erfolgsgeschichte bilateraler Wissenschaftskooperation (Max Planck Forschung, 2/21).

Wobei unklar ist, welcher Partner mehr davon profitiert. Historisch betrachtet dürften es die Chinesen sein. Bilanziert Baum doch voller Stolz, daß heute in China rund ein Drittel aller Führungspositionen im Bereich Forschung und Entwicklung mit Personen besetzt seien, die in Deutschland ausgebildet wurden. Das Reich der Mitte habe seinen Aufstieg zur Weltmacht der Wissenschaft also „sicher“ auch der Bundesrepublik zu verdanken. Und den Grundstein dafür legte die MPG schon 1974, als Diktator Mao noch herrschte und es gelang, mit der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS) einen Stipendiaten-Austausch einzufädeln.

Damit hatten die Westdeutschen einen Fuß in der Tür, denn in den 1980ern gewährte ihnen die CAS zunächst ein Gästelabor am Institut für Zellbiologie in Shanghai. Aber dort konnten sie zwar mit chinesischen Kollegen forschen, übernahmen jedoch zugleich die Verpflichtung, den autochthonen Nachwuchs auszubilden, so daß man sich nicht auf Augenhöhe begegnete. Deshalb ähnelte die sukzessive fleißig ausgebaute Kooperation bis über die Jahrtausendwende hinaus eher einem ambitionierten Entwicklungshilfeprogramm, und der Wissenstransfer glich einer nur ostwärts befahrenen Einbahnstraße.

Nachdem aus China zwischen 1995 und 2020 die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt geworden ist, haben sich die Verhältnisse grundstürzend geändert. Die CAS belegte 2020 laut Nature-Index bei der Zahl der „Top-Publikationen“ vor Harvard und der MPG Platz eins. Das Reich der Mitte investiert derzeit 377 Milliarden Dollar (2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts/BIP) in Forschung und Entwicklung und hat damit zum Euro-Raum aufgeschlossen. Im jüngst verabschiedeten Fünfjahresplan bis 2026 kündigt China an, künftig bei den Forschungsausgaben mit den USA gleichziehen zu wollen. In der Grundlagenforschung sind die Ausgaben 2021 schon um elf Prozent gestiegen. Dabei nehme man primär zukünftige technologische Innovationen in den Blick und konzentriere sich auf Informations- und Kommunikationstechnologie, Halbleitertechnik, Biotechnologie – hier besonders auf Hirn- und Genforschung – die Erkundung von Tiefsee, Weltraum und den Polargebieten, die Erschließung neuer Rohstoffe und Materialien.

Neue Kommission für die „Ethik sicherheitsrelevanter Forschung“

Bei den Großforschungsanlagen stoße China zur Weltspitze vor. In der Nordprovinz Hebei ist der weltgrößte Teilchenbeschleuniger (CEPC) in Planung. Hier soll ab 2030 eine Beschleunigungslänge von bis zu 70 Kilometer erreicht werden – das europäische Pendant Cern ist nur für 27 Kilometer ausgelegt. Auch in anderen Disziplinen habe sich das Meister-Schüler-Verhältnis inzwischen ebenfalls zugunsten Chinas umgekehrt, so daß die Spielregeln der transnationalen Zusammenarbeit jetzt in Peking diktiert würden. Und Chinas in Deutschland bestens ausgebildete Stipendiaten-Elite wird von der dortigen KP-Herrschaft weniger abschreckt: Kehrten im Jahr 2000 nur 20 Prozent in ihre Heimat zurück, sind es heute 80 Prozent.

Augenblicklich offenbaren sich negative Folgen des forcierten Pekinger Forschungsdirigismus nur in den sozialwissenschaftlichen MPG-Sparten. So sind ethnologisch-soziologische Feldforschungen zur Lebenswelt der uigurisch-muslimischen Minderheit in der Nordwestprovinz Xinjiang (Ostturkestan) seit 2016 verboten. Auch in anderen Humanwissenschaften zeichne sich zart die Zumutung ab, sich deutlicher an „chinesischen Theorien“ zu orientieren. Das schränke, wie Blaum mit einem schönen Freudschen Versprecher formuliert, die „Kollaborationsmöglichkeiten“ ein.

Man habe daher im Frühjahr neue Leitlinien für die internationale Kooperation im allgemeinen und zur Stärkung der „China-Kompetenz“ von MPG-Wissenschaftlern im besonderen beschlossen. Der MPG-Ethik-Rat und eine Kommission für die „Ethik sicherheitsrelevanter Forschung“ sollen jetzt rechtliche und moralische Orientierung geben. Was insbesondere bei Dual-Use-Projekten notwendig sei, das heißt bei Forschungen, die Ergebnisse oder Technologien hervorbringen, „die von Dritten mißbraucht werden können“. Von aktueller Relevanz seien hier jene deutsch-chinesischen Kooperationen der MPG, die das KP-Regime zur Perfektionierung seiner elektronischen Überwachungstechnologie nutze.

Mit den neuen Leitlinien wolle man die involvierten Forscher für diese Gefahren sensibilisieren und darauf vorbereiten, nicht länger „blauäugig“ auf solche Zusammenarbeit einzugehen, nicht zu viele Kompromisse zu schließen und gegebenenfalls auch nein zu sagen. Auf diesen vorsichtigeren Kurs mußte die MPG einerseits deshalb umschwenken, weil das Außenwirtschaftsrecht der EU und US-Sanktionen den Export sicherheitsrelevanter Spitzentechnologie nach China unter staatlichen Genehmigungsvorbehalt gestellt haben. Zudem hat die Volksrepublik China eine Reihe von Gesetzgebungsverfahren initiiert, die darauf hinauslaufen dürften, die MPG von der Verwendung kooperativ gewonnener Forschungsdaten auszuschließen. Trotzdem möchte die MPG die Partnerschaft „klug und fair“ fortführen. Im „Spannungsfeld von Wissenschaftsfreiheit und ethischer Verantwortung“ traue die MPG sich zu, „westliche Werte“ zu verteidigen und damit, wie Blaum reichlich naiv hofft, „die weitere Entwicklung in China zu beeinflussen“.

„China – ein Partner im Wandel“, in Magazin Max Planck Forschung 2/21: www.mpg.de

Chinese Academy of Sciences (CAS): english.cas.cn

Foto: Deutsche und chinesische Flagge im Staatsrat in Peking: Ein Drittel des wissenschaftlichen Führungspersonal war in Deutschland