© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/21 / 06. August 2021

Schlußstrich der Woche
„Nicht gerade beflügelt“
Christian Vollradt

Eigentlich ging es um ein neues Buch, doch für einen Moment stand ein altes Kapitel im Vordergrund. Thilo Sarrazin stellte vergangenen Mittwoch seinen druckfrischen Essay „‘Wir schaffen das’ – Erläuterungen zum politischen Wunschdenken“ vor und anhand zahlreicher Beispiele dar, wie Angela Merkel in 16 Jahren Kanzlerschaft das genaue Gegenteil von dem tat, was ihre Partei zuvor versprochen hatte. Für den Bestseller-Autor „ein anschauliches Beispiel dafür, wie flexibel ein machtbewußter Politiker sein kann und wie gut die Wähler und Bürger daran tun, wenn sie jenen Politikern, die um ihre Stimmen werben, zunächst einmal gar nichts glauben“. In der anschließenden Diskussion ging es dann kurz einmal nicht um die CDU und ihren „Todesengel“ (Sarrazin über Merkel), sondern die – ehemalige – politische Heimstatt des einstigen Landespolitikers selbst. Er habe sich, so Sarrazin, die Frage gestellt, ob er – wäre er noch einmal 28 Jahre alt – in die SPD, wie sie sich jetzt präsentiert, eintreten würde; und sei nach reiflicher Überlegung zu dem Ergebnis gekommen: nein. Daher werde er den Beschluß der Schiedskommission nicht vor einem ordentlichen Gericht anfechten. Vor zwei Jahren hatte sich das noch ganz anders angehört. Damals äußerte Sarrazin, er wolle Einspruch einlegen und notfalls „bis zum Bundesverfassungsgericht“ klagen (JF 30-31/19). Nun ist also die Kehrtwende quasi amtlich. Der frühere Berliner Finanzsenator akzeptiert formal seinen Rauswurf nach 47 Jahren Parteimitgliedschaft, auch wenn er ihn nach wie vor für inhaltlich unbegründet – „willkürlich und unsinnig“ – hält. Eine kleine Spitze kann sich der unbequeme Ex-Genosse aber rücklickend nicht verkneifen. Wenn er sich die Umfragewerte der vergangenen zwölf Monate so anschaue, meint Sarrazin, dann habe sein Ausschluß die SPD ganz offenbar „nicht gerade beflügelt“.