© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Wer schützt wen?
Terror in Würzburg: Der Täter genießt seit Jahren subsidiären Schutz — und wurde zuvor bereits mehrfach straffällig
Hermann Rössler

Nach dem Attentat in Würzburg ist die Politik in Erklärungsnot. Hätte das Blutbad verhindert werden können? Der mutmaßliche Täter ist ein 24 Jahre alter Somalier, dessen Asylantrag 2015 zwar abgelehnt wurde, der jedoch unter subsidiärem Schutz steht. Abdirahman J. war in Deutschland bereits straffällig geworden und mehrfach in psychiatrischer Behandlung. Während der Afrikaner vergangenen Freitag nachmittag in der Würzburger Innenstadt auf Passanten einstach und dabei drei Frauen das Leben nahm, rief er laut Zeugenaussagen „Allahu Akbar“. 

Nach seiner Festnahme sagte er, einen „Beitrag zum Dschihad“ geleistet zu haben. Islamistischer Terroranschlag oder Amoklauf eines psychisch kranken Einzeltäters?

Innenminister Herrmann: Asylrecht muß auf den Prüfstand 

„Das eine muß das andere nicht ausschließen“, stellte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag fest. Zur Zeit sei es jedoch zu früh, um ein eindeutiges Tatmotiv benennen zu können. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte am Sonntag im „Live-Talk“ mit der Bild noch von einem „eklatanten Verdacht“ gesprochen, „daß es sich um islamistischen Terror handeln könnte“. 

Im Januar war J. zwangseingewiesen worden, nachdem er Mitbewohner im Obdachlosenheim mit einem Messer bedroht hatte. Der Aufenthalt dauerte vier Wochen. Vor knapp zwei Wochen war J. abermals für einen Tag in der Klinik. Er hatte sich unaufgefordert in das Auto eines Fremden gesetzt und sich geweigert, auszusteigen. Da die Ärzte keine „Selbst- oder Fremdgefährdung“ feststellten, konnte er die Einrichtung auf eigenen Wunsch verlassen. Das bayerische Landeskriminalamt (LKA) untersucht derzeit zwei Handys des mutmaßlichen Täters. Nach Informationen des Tagesspiegel fand die Polizei in der Wohnung des Somaliers außerdem eine Gebetskette, zwei Gebetsteppiche und Notizen in arabischer Sprache. Die „Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus“ der Generalstaatsanwaltschaft München leitet nun die Ermittlungen, „da ein islamistischer Hintergrund für die Taten naheliegt“, teilte das LKA mit. Abdirahman J. sitzt wegen dreifachen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung in sechs Fällen sowie vorsätzlicher Körperverletzung in einem Fall in Untersuchungshaft. 

Vergangenen Freitag erstach er drei Frauen und verletzte sieben weitere Menschen, fünf davon schwer. Die Lebensgefahr der Betroffenen konnte inzwischen abgewendet werden. Die Todesopfer: drei Frauen im Alter von 24, 49 und 82 Jahren. Unter den Schwerverletzten ist auch die elfjährige Tochter der 49jährigen. J. kam 2015 als Flüchtling aus der somalischen Hauptstadt Mogadischu nach Deutschland. Als Asylgrund soll er angegeben haben, in seinem Heimatland einen Anschlag der Terrormiliz Al Shabaab verhindert zu haben, berichtete der Tagesspiegel. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München bestätigte dem Blatt, 2020 den Anruf eines Asylbewerbers erhalten zu haben, der J. beschuldigte, selbst Teil der Al Shabaab gewesen zu sein. Die Bundesanwaltschaft habe einen Anfangsverdacht ausgeschlossen, da J. den Schilderungen nach zu dem Zeitpunkt zwischen elf und zwölf Jahren alt gewesen sein soll, wodurch er nach deutschem Recht nicht strafmündig wäre. 

2015 verletzten sich J. und ein anderer Einwanderer in einer sächsichen Asylunterkunft gegenseitig mit einem Messer, bestätigte die Staatsanwaltschaft Chemnitz der Sächsischen Zeitung. Das Verfahren wegen schwerer Körperverletzung wurde 2017 aufgrund mangelnder Beweise eingestellt. 

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hatte 2015 den Asylantrag des Somaliers abgelehnt, ihm aber subsidiären Schutz zugestanden. Dieser wird Personen zuerkannt, denen in ihrem Herkunftsland ein „ernsthafter Schaden“ droht. Ein entsprechendes Gesetz trat im Dezember 2013 durch die EU in Kraft, gilt aber nicht in allen Mitgliedstaaten. Die Duldung ist zunächst auf ein Jahr befristet, kann aber verlängert werden, wovon J. offensichtlich profitierte. In seinem Heimatland herrscht seit Jahrzehnten Bürgerkrieg. Innenminister Herrmann forderte am Sonntag eine Überprüfung des Asylrechts. Es liege ihm am Herzen, daß „Personen, die hier schwere Straftaten begehen oder als Gefährder eingeschätzt werden, wieder außer Landes“ gebracht werden könnten, sagte der CSU-Politiker der Bild. Der bayerische Vize-Ministerpräsident, Hubert Aiwanger, (Freie Wähler) schließt sich dem an: „Schwere Fälle“ müßten in die Herkunftsländer zurück. 

Bei einem ökumenischen Gedenkgottesdienst im Würzburger Kiliansdom am Sonntag hatte sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) indes bemüht, die Wogen zu glätten. „Gut und Böse sind keine Frage von Religion oder Nationalität, sondern sie sind häufig nicht zu erklären.“ Der Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU) mahnte an, ein solches Verbrechen nicht auf Bevölkerungsgruppe, Religion oder Staatsangehörigkeit zurückzuführen. Anders sieht das der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Mathias Middelberg. Flüchtlinge tauchten häufiger in der „Kriminalstatistik“ auf, „als es ihrem Anteil von zwei Prozent an der Bevölkerung entspricht“. 

Die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2020 zeigt: Von insgesamt 1.863.118 Tatverdächtigen stellen Ausländer einen Anteil von fast 30 Prozent (557.688) und Asylbewerber einen Anteil von mehr als sieben Prozent (136.588). Zwar ist die Zahl der Tatverdächtigen aus letzterer Gruppe bei den meisten Delikten gesunken (um 9,5 Prozentpunkte). Im Bereich „Straftaten gegen das Leben“ ist sie dagegen um 3,6 Prozentpunkte gestiegen.