© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

Alles Mitte, oder was?
Grüne: Die Partei will an die Regierung – gibt sich bürgerlich. Die Realität hinter dem schönen Schein ist jedoch eine andere
Hinrich Rohbohm

Einst kamen sie von ganz links. Jetzt, im Vorfeld der Bundestagswahl am 26. September, wollen sich die Grünen als die neue bürgerliche Mitte präsentieren. Galten Claudia Roth und Jürgen Trittin einst vielen Wählern noch als Bürgerschreck, so hat die Öko-Partei nun mit dem Duo Annalena Baerbock und Robert Habeck zwei Figuren an die Spitze gestellt, die sich gut auf jedem Werbeplakat machen und als PR-Produkte neuer, vermeintlich mittigerer Grüner deutlich besser für die Zielgruppe bürgerlicher Wähler vermarkten lassen. Die neuen Grünen, das sind neben Baerbock und Habeck Leute wie der jetzige Experte für Verkehr und Digitalisierung, Cem Özdemir, der Innen- und Rechtspolitiker Konstantin von Notz oder der außenpolitische Sprecher Omid Nouripur.

Doch wieviel von diesen neuen Grünen ist Wandel, wieviel lediglich Fassade? Ein Gradmesser: Eine klare Absage an jegliche Koalitionen mit der Linkspartei. Genau das aber bleibt bis heute aus. Im Gegenteil: Mit Berlin, Bremen und Thüringen befinden sich die Grünen mittlerweile schon in drei Bundesländern in einer Koalition mit den SED-Erben.

Und auf Bundesebene? Da will Grünen-Chef Robert Habeck in bezug auf Bündnisse mit der Linken zwar Bedingungen stellen. Seine Partei werde aber „keine Ausschließeritis betreiben.“ Eine Koalitionsabsage hört sich anders an. Anfang des Monats diskutierte die Vizechefin der Grünen, Jamila Schäfer, auf Einladung der SPD-Bundestagsabgeordneten Hildegard Mattheis gemeinsam mit SPD-Chefin Saskia Esken und Linken-Parteichefin Janine Wissler über die Frage, wie eine „linke Alternative“ im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl aussehen könnte. Mattheis ist Vorsitzende des linkslastigen Vereins Forum Demokratische Linke, einer Gruppierung innerhalb der SPD.

Grüne Jugend kooperiert mit radikalen Klimaorganisationen

Wie bei Habeck sind auch Schäfers Äußerungen auf dem rot-rot-grünen Treffen vielsagend: Noch nie sei eine so „greifbare politische Veränderung“ möglich gewesen. Als progressive Parteien müsse man jetzt „an einem Strang“ ziehen. Gebe es die Chance auf eine rot-rot-grüne Mehrheit, werde man sie nicht verstreichen lassen. Nur allzu offen möchte man das nicht kommunizieren, denn: Ein Linksbündnis erreiche am meisten, „wenn wir nicht für bestimmte Koalitionen campaignen“, erklärte Schäfer dort.

Bevor sie Anfang 2018 zur Vizechefin der Grünen gewählt wurde, fungierte sie als Bundessprecherin der noch deutlich radikaler agierenden Grünen Jugend. Immer stärker nimmt auch ihr Einfluß in der Mutterpartei zu, werden ihre Funktionäre als Bundestags-, Landtags- oder Europakandidaten für die Partei aufgestellt. Neben Fridays for Future kooperiert die Grüne Jugend eng mit den linksradikalen Klimaorganisationen Extinction Rebellion und Ende Gelände sowie der Linksjugend Solid. So heißt es beispielsweise in der Einladung eines Multiplikator-Seminars der Grünen Jugend aus dem vergangenen Jahr: „Ob gegen Naziaufmärsche, gegen den sogenannten ‘Marsch für das Leben’, Castortransporte oder bei Ende Gelände, Extinction Rebellion und HambiBleibt: Protest, Aktion und ziviler Ungehorsam sind seit jeher fester Bestandteil der Grünen Jugend.“ Mit Jakob Blasel wird auch ein führender Vertreter der Klimaschutzbewegung für den Bundestag kandidieren.

Mehrfach fiel die Grüne Jugend in der jüngeren Vergangenheit durch ihre Nähe zum Linksextremismus auf. Im April dieses Jahres warb sie mit Propaganda-Plakaten der einstigen sowjet-kommunistischen Jugendorganisation Komsomol. 2013 hatte sie gemeinsam mit der Linksjugend die Kampagne „Ich bin linksextrem“ initiiert. Ihre damalige Bundesvorsitzende Sina Doughan gehört der vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuften Roten Hilfe an. Die Grüne Jugend in Niedersachsen sprach sich 2018 „eindeutig gegen die Kriminalisierung der Roten Hilfe, zum Beispiel durch Nennung in den Verfassungsschutzberichten“ aus. So erkenne der Landesverband „die Wichtigkeit der Roten Hilfe für alle emanzipatorischen Kämpfe, zum Beispiel gegen Rassismus, Faschismus, Sexismus, Nationalismus, Kapitalismus und Umweltzerstörung an.“

Ebenfalls als Bundesvorsitzender der Grünen Jugend agierte Felix Banaszak, ein Ziehsohn des Berliner Parteilinken und Jusitzsenators Dirk Behrendt. Seit 2018 ist Banaszak gemeinsam mit der ehemaligen Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung, Mona Neubaur, Chef des größten Landesverbandes der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Von 2014 bis 2016 gehörte er darüber hinaus dem Vorstand des Instituts Solidarische Moderne an, einem linken Thinktank von Politikern aus SPD, Grünen und der Linkspartei, die das Ziel einer rot-rot-grünen Koalition verfolgen. Bis 2017 war er als Mitarbeiter des Europaabgeordneten und Gründers der linksradikalen Organisation Attac, Sven Giegold, tätig. Nach der nächsten Bundestagswahl dürfte Banaszak dann auch dem Bundestag angehören und als Chef des größten Landesverbandes eine gewichtige Rolle in der Grünen-Bundestagsfraktion einnehmen.

Sein Ziehvater Dirk Behrendt gilt in Berlin als einer der Wortführer der Parteilinken, die den Landesverband inzwischen dermaßen dominiert, daß selbst der linksliberale Tagesspiegel von einer „Kreuzbergisierung“ der Hauptstadt-Grünen spricht. Womit die zunehmende politische Dominanz des weit links stehenden Kreisverbandes Friedrichshain-Kreuzberg innerhalb des Berliner Landesverbandes gemeint ist. Ein Beispiel: Bei der Aufstellung der Landesliste zur Berliner Abgeordnetenhauswahl am 26. September drückte der linke Parteiflügel auf den ersten zehn Listenplätzen sieben ihrer Kandidaten durch. Auch die überwiegende Mehrheit der Landesparteiführung kommt aus Friedrichshain-Kreuzberg.

Nur durch Zugeständnisse kamen Moderate auf die Landesliste

Und selbst in Annalena Baerbocks Heimat Niedersachsen stellt sich das Bild einer angeblich in die Mitte gerückten grünen Partei äußerst widersprüchlich dar. Ende Mai stellte die Öko-Partei dort in Oldenburg ihre Landesliste zur Bundestagswahl auf. Neben Platz 1 ging dabei auch der Listenplatz zwei deutlich an die Parteilinke, die sich mit Sven-Christian Kindler gegen den ehemaligen niedersächsischen Umweltminister und langjährigen Chef der Grünen-Landtagsfraktion Stefan Wenzel durchsetzte. Wenzel zählt zum eher moderaten Flügel der Partei, Kindler dagegen befürwortet eine Zusammenarbeit mit SPD und Linkspartei. Daß überhaupt noch einige moderatere Grüne eine Listenabsicherung erhielten, war lediglich darauf zurückzuführen, daß diese auf eine eigentlich geplante Kampfkandidatur um den Landesvorsitz verzichtet hatten.

Auch im näheren politischen Umfeld von Annalena Baerbock ist die Parteilinke enger eingebunden als gemeinhin bekannt. Eine enge Vertraute der Grünen-Kanzlerkandidatin ist Agnieszka Brugger, ein Gründungsmitglied des Instituts Solidarische Moderne und Mitglied im Koordinierungsteam von „Grün.Links.Denken“, einem Netzwerk des linken Flügels, in dem auch die Parteivize Jamila Schäfer vertreten ist. Brugger fungiert als stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, wird zudem von Ex-Grünen-Chefin Claudia Roth protegiert, die in Brugger „eines der größten Politik-Talente im Deutschen Bundestag“ sieht.

Ebenfalls zum Kreis der Baerbock-Vertrauten gehört Britta Haßelmann. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion handelte einst Mietverträge für die Hausbesetzer-Szene aus, kommt aus dem linkslastigen NRW-Kreisverband Bielefeld, dem auch Antje Vollmer, Annelie Buntenbach oder Bärbel Höhn angehören. Eine weitere Baerbock-Vertraute im Bundestag ist die parlamentarische Geschäftsführerin Katharina Dröge. Auch Dröge gehört zu jenen, die über die Grüne Jugend in den Bundestag gelangten. Vier Jahre lang wirkte sie als Landesvorsitzende des Parteinachwuchses in Nordrhein-Westfalen. Auch sie ist Teil des Netzwerks „Grün.Links.Denken“, der „Dachorganisation der verschiedenen linken Gruppen innerhalb von Bündnis 90/Die Grünen“, und gehört zudem der Mitgliederversammlung der Heinrich-Böll-Stiftung an.

Lesen Sie in der kommenden Ausgabe: Welche Verbindungen hat die Heinrich-Böll-Stiftung in die linksradikale Szene – und wie grün ist Annalena Baerbock?

Foto: Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock und Robert Habeck: Herzchen für die Mitte, Kämpfer-Faust für den harten linken Kern