© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Napoleon A: Im Hinblick auf das offizielle Gedenken zum 200. Todestag Napoleons ist klargestellt, daß der Kaiser nur in „aufgeklärter Erinnerung“ (Emmanuel Macron) bleiben soll: als Schöpfer des Code Civil, als Reformer, aber nicht als Herrscher oder Feldherr oder als Ausdruck der „nationalen Energie“ (Maurice Barrès). Man kann darin auch einen Akt der Vorsicht der Politischen Klasse sehen, angesichts von Generälen, denen man einen „18. Brumaire“ zutraut, und einer diffusen, wenn man so will: bonapartistischen, Gestimmtheit. Eric Zemmour hat von der etwas zum Ausdruck gebracht, mit einer Eloge auf Napoleon, dessen historische Bedeutung seiner Meinung nach darin bestand, nicht nur das römische Gallien oder das Reich Karls des Großen wiederherzustellen, sondern es auch als Kern eines kontinentalen Blocks zu verankern und damit die historische Sendung Frankreichs, wenn nicht zu erfüllen, dann doch zu bestimmen: „Ein Frankreich, das nicht in Europa ist, sondern das Europa ist.“

˜

Sollte jemand – bevorzugt aus dem Bereich der Therapeuten, Pädagogen, Geistlichen – ankündigen, daß er gleich etwas „Spannendes“, gar etwas „wahnsinnig Spannendes“, von sich geben werde, nehme man Reißaus. Es drohen Ödnis und Platitude – unweigerlich.

˜

Ausschlaggebend ist nicht, daß Islamisten Antisemiten sind. Ausschlaggebend ist, daß Islamisten Islamisten sind.

˜

„Wir befinden uns global in einer ganz üblen Lage. Eine Politik des Weltrettungsbedarfs nimmt zu. Auf diesem Hintergrund öffnet sich die Schere zwischen dem Weltuntergangsszenario und dem Wurschteln der mediokren Politik. Ich vermute, daß, wenn sich die Situation weiter verschärft, der Druck auf die Politik, sie möge doch die Welt retten und uns von dem Übel erlösen, bei wachsender Dramatisierung der Probleme zunehmen wird. Gerade auf diesem Hintergrund entdeckt man die Klugheit eines jahrhundertelangen Stoizismus als geistige Lebensform. Solche Einschlüsse sind für unseren geistigen Haushalt, wenn wir nicht wiederum fundamentalistische Weltrettungshysteriker werden und eine Politik der Erlösung favorisieren wollen, enorm wichtig.“ (Rüdiger Safranski, 1995)

˜

Eine der dümmsten Volksweisheiten: „Wo Rauch ist, ist auch Feuer.“

˜

Napoleon B: Daß Napoleon seinem eigenen Volk Gegenstand der Bewunderung war und ist, kann so wenig überraschen wie die Anhänglichkeit der Italiener oder Polen, die in ihm ihren „Einiger“ oder „Befreier“ sehen konnten. Verblüffender ist das sympathisierende Interesse seiner Erzfeinde, der Briten und der Deutschen. Vielleicht hängt das im ersten Fall mit der ruhigen Gewißheit des Siegers zusammen, der im „Zweiten Hundertjährigen Krieg“ – von Malplaquet bis Waterloo – triumphiert hatte und nun die auf Hochtouren laufende Propagandamaschine gegen „den Korsen“ abstellen konnte. Eine seltsame Pointe hat die Entwicklung jedenfalls darin, daß der Neffe des Kaisers – der glücklose Napoleon III. – auf britischem Boden beigesetzt wurde, und mit ihm sein Sohn – „Napoleon IV.“ – , der als britischer Offizier im Kampf gegen die Zulus fiel. Anders liegen die Dinge im deutschen Fall. Hier spielte natürlich der Geniekult des 19. Jahrhunderts eine Rolle. Aber einflußreicher dürfte gewesen sein, daß Deutsche in Napoleon – vor allem nach der Niederlage von 1918 – das Muster jenes „Zwingherrn“ sahen, der von Zeit zu Zeit auftreten und eine Nation gewaltsam einen muß, um sie zu erneuern. Eine Vorstellung, die im George-Kreis wichtig war und Wirkung hatte bis zur Faszination, die Gneisenau, der – verhinderte – Gegen-Napoleon im Umfeld Stauffenbergs ausübte.

˜

Nachnamen sind heute Schall und Rauch.

˜

Nekrolog: Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, verstarb am 19. April der österreichische Philosoph (und Physiker) Rudolf Burger. Burger, der sich selbst als „Materialist“ und „Atheist“ verstand, war bekannt für seine pointierten Stellungnahmen. In Erinnerung sollte sein „Plädoyer für das Vergessen“ bleiben, das er im Jahr 2001 unter dem Titel „Die Irrtümer der Gedenkpolitik“ in der inzwischen eingestellten Wiener Vierteljahreszeitschrift Europäische Rundschau veröffentlicht hat. Im Schlußteil des Textes hieß es: „Real ist die Nazizeit so versunken wie Karthago, das mumifizierende Gedenken verzaubert sie zum Mythos. So erbt sich das Unheil fort, als Kleingeld der Politik und als schamloses Geschäft. Die Beschwörung der monströsen Verbrechen der Nazis hat heute (…) weder eine kathartische Funktion noch die Wirkung eines Apotropaion, vielmehr macht sie aus dem Gebannten ein morbides Faszinosum. (…) Trauer als echtes Gefühl ist nach einem halben Jahrhundert nicht mehr möglich, ihr Simulakrum eine moralische Ausbeutung der Toten. (…) Wie die Dinge liegen, wäre Vergessen nicht nur ein Gebot der Klugheit, sondern auch ein Akt der Redlichkeit; und es wäre eine Geste der Pietät. Schlimme Folgen hätte es keine, nur vielleicht für das Geschäft.“

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 28. Mai in der JF-Ausgabe 22/21.