© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

Mit Liebe zu Wahrheit und Vaterland
Appell der Offiziere: Die französische Wochenzeitung „Valeurs Actuelles“ bleibt sich treu
Jürgen Liminski

Ein Sturm im Wasserglas – so bezeichnet die Zeitschrift Valeurs Actuelles (VA) die allgemeine Aufregung um den Appell der 20 Generäle und hundert Offiziere, der am 21. April in der Zeitschrift erschien und vor allem die linke Seite des politischen Spektrums in Frankreich in Rage brachte. Denn, so VA, die Wirklichkeit, die die Generäle da beschrieben, störe die ideologischen Kreise, zerstöre die Fata Morgana, die die Linke über den Islam den nach Wahrheit dürstenden Franzosen vorgaukele und zeige erneut das Gegenmodell zu dem linksliberalen, grünen, wirtschaftsfeindlichen Gesellschaftsmodell, das auch in Frankreich medial en vogue ist.

Diskursanstoß mit mutigen Titeln

Diese Beschreibung ist typisch für die Zeitschrift. Nicht nur, weil die Berufsarmee Frankreichs heute weder putschwillig noch putschfähig ist – zu klein, zu demokratisch, zu volksnah – und deshalb der Aufruf tatsächlich ein Appell an die Politik zur Rettung der Nation ist. Die Zeitschrift fühlt sich seit Beginn der Wahrheit verpflichtet und bietet, wie der langjährige Chefredakteur François d’Orcival vor dreißig Jahren schrieb, „eine Weltanschauung, ein Konzept zum Menschen als Person im Dienst der Wahrheit und des Respekts vor den höheren Interessen unseres Vaterlandes. Und dabei jedoch frei ist, skrupelhaft frei gegenüber allen Machtansprüchen“ von Politik und Wirtschaft.

D’Orcival schrieb diese programmatischen Zeilen anläßlich des Todes des Gründers der Zeitschrift, Raymond Bourgine, im Dezember 1990. „Er war die Seele dieser Zeitschrift, dieses Hauses“, fuhr der Direktor und heutige Chefkommentator fort, dessen Editorial in fast jeder Nummer den Aufschlag macht. „Er glaubte an die Freiheit, an die Vorsehung und an das Vaterland.“ Die Freiheit des Menschen wurzele, so Bourgine, in dieser göttlichen Vorsehung und gebe ihr erst ihren tiefsten Sinn. „Der Mensch ist nur wirklich frei im Schoß der Familie, natürlicher Ort des Glücks, und sein Leben entfaltet Sinn nur in einer einfachen Liebe zum Vaterland.“ Die Ehrerweisung für den Mut und das Lebensbeispiel dieses Mannes habe einen Namen: Treue.

Solche Worte mögen für heutige Gemüter, deutsche zumal, etwas pathetisch klingen und sind sicher auch dem Umstand geschuldet, daß die „Seele des Hauses“ nach 34 Jahren die Redaktion irgendwie als Waise zurückließ. Aber die Zeitschrift ist diesem Geist und Programm auch in den folgenden gut dreißig Jahren tatsächlich treu geblieben, trotz wechselnder Eigentümer. Haupteigentümer ist heute der französisch-libanesische Unternehmer und Maronit Iskandar Safa. Mit solch klaren Konturen kann man heute sicher keine Massenauflagen erreichen. Aber sie festigen die Leser-Blatt-Bindung und schaffen ein publizistisches Gewicht, das sich im Konzert der Meinungen in Frankreich durchaus bemerkbar macht.

Mit Mut und originellen Ideen – etwa ein Cover, das Marianne im islamischen Schleier zeigt, oder eine Ausgabe mit dem Titel: „Die Verschwörung des Milliardärs gegen Frankreich. Enthüllungen über George Soros, den Finanzier des Islam und des Islamismus“ – hat die Zeitschrift mehr als einmal den Diskurs belebt. Ihre Redakteure nehmen mittlerweile oft an Talkrunden in Radio und Fernsehen teil. Die Auflage stieg vor allem in Zeiten der Linksregierungen. Unter Präsident Hollande (2012–2017) erreichte die Zeitschrift ihre bisher höchste Auflage mit mehr als 120.000 Exemplaren. Das Internet hat wie bei allen Zeitungen die Print­auflagen gedrückt, aber auch heute zählt VA rund 110.000 Abonnenten und einen Gewinn nach Steuern von einer Million Euro.

Seriös und zahlenbasiert

Die Zeitschrift ist den Linksgrünen ein Dorn im Auge und wird von ihnen als rechts und stramm konservativ eingeordnet. Das ändert aber nichts an ihrer Seriosität. Das liegt auch daran, daß VA gern mit Zahlen aufwartet, um seine Thesen zu untermauern. Das wiederum ist ein Erbe ihres Ursprungs. In den sechziger und siebziger Jahren war das Blatt vor allem wirtschaftlich orientiert und erst im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts, vor allem unter François d’Orcival, rückte die Politik an die erste Stelle. Im Fall des Appells der Generäle ließ die Zeitschrift es sich nicht nehmen, wieder Zahlen zu nennen, die die Analyse der Offiziere untermauern: 86 Prozent der Franzosen sind der Meinung, daß es gesetzlose Zonen gibt, 84 Prozent sehen die Gewaltkriminalität steigen, 74 Prozent glauben, daß der Antirassismus genau das Gegenteil von dem bewirkt, was er eigentlich vorgibt, und 73 Prozent glauben, daß die Gesellschaft in Frankreich zerfällt. 

Man hat gelegentlich versucht, der Zeitschrift einen antisemitischen Akzent anzudichten und sie damit zu diskreditieren. Dagegen spricht schon die Tatsache, daß eine der markantesten Federn von Michel Gurfinkiel, einem praktizierenden Juden geführt wird, der jahrzehntelang die Außenpolitik leitete und seit Erreichen des Rentenalters als Kolumnist der Redaktion weiterhin verbunden ist. Schon Bourgine, selber Christ, legte hohen Wert auf eine faire und ausgiebige Berichterstattung über Israel, Nahost und die geistig-religiösen Hintergründe der Völker in diesem Raum – und offenbarte damit einen Charakterzug französischen politischen Denkens: das kulturell-missionarische Interesse für die Welt, über Europa hinaus.

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