© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Sechs Stunden labern
Nach dem Reichelt-Verfahren: „Bild“ plant lineares Fernsehen, doch die eigene Belegschaft ist skeptisch
Martina Meckelein

Zum Regieren brauche er „Bild, BamS und Glotze“, sagte einst Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Heute benötigte der Altbundeskanzler keine Aufzählung mehr. Wenn es nach dem Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner geht, bekäme er alles aus einem Hause – nämlich seinem. Die Bild soll ins lineare Fernsehen, noch in diesem Jahr. Möglich machen soll es der skandalgetriebene Bild-Chef Julian Reichelt, der nach einem Compliance-Verfahren wieder an Bord ist (JF 14/21). Und Reichelt muß liefern, das ist klar. 

„Bild will noch vor dem größten Nachrichtenereignis des Jahres, der Bundestagswahl, mit einem eigenen Fernsehsender an den Start gehen“, gibt Springer am 12. April bekannt, natürlich vorbehaltlich der Erteilung der Sendelizenz durch die Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg. Der Zuschauer kann, so die Planung, ab vormittags sechs Stunden „Bild Live“, so der Name des Senders, über Kabel, Satellit und Internet empfangen. „Im Mittelpunkt stehen unter anderem Politik, Sport, VIP, Crime sowie Service-Themen“, so die Axel Springer SE. Also der altbekannte Bild-Bauchladen. Bisher liefen die Videos und Schalten auf der Netzseite und bei Facebook.

500 Reporter sollen in den Einsatz gehen

„Klasse“, kommentiert trocken ein Bild-Redakteur gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, „sechs Stunden ‘Labern mit Ronzheimer’ (Reichelts Stellvertreter), wer will das sehen? Im Ernst, das ist doch nur ein Zeitfenster in N24 Doku. Eine Art Zweitsender von Welt TV, bei denen bleibt auch die ganze technische Abwicklung. Die verkaufen ihr Bild-Wackel-TV als vollwertigen Sender.“ Die Kritik vieler Print-Redakteure an der TV-Offensive des Springer-Konzerns ist alt. Denn die Idee eines eigenen frei zu empfangenden Fernsehsenders hatte schon Verlagsgründer Axel C. Springer Anfang der sechziger Jahre. An der Idee, im Zuge der Digitalisierung der Zeitungsprodukte des Verlages einen eigenen Kanal aufzubauen, wurde seitens des Vorstandes festgehalten.

Die Entwicklung der Geschäftszahlen gibt Döpfner recht. So berichtete der Branchendienst kress Anfang des Jahres von einem internen Gutachten der Unternehmensberatung Ernst & Young. Aus dem gehe hervor, daß dem Printgeschäft womöglich rote Zahlen blühen: „Demnach rechnet Springer mit einem Umsatzrückgang der heimischen Printsparte von 798 Millionen Euro (2019) auf 520 Millionen Euro (2024). Allein in diesem Corona-Jahr ist ein Minus um 114 Millionen Euro auf 684 Millionen Euro eingeplant.“ 

Den Geschäftserfolg sehen die Springer-Chefs verstärkt in der Digitalisierung und eben im TV. 20 Millionen Euro wollen sie allein in „Bild Live“ investieren. Schon im Jahr 2019 gab Reichelt dem Spiegel ein Interview unter der Überschrift „Was will die Bild im Fernsehen, Herr Reichelt?“ Damals erklärte er: „Da liegen Reichweiten und Erlöse, die wir bisher unangetastet gelassen haben.“ Gewinne zu erwirtschaften, klingt als Motivation jedenfalls nachvollziehbarer als das Statement, mit dem Julian Reichelt jetzt von seinem Arbeitgeber zitiert wird: „Wir wollen Fernsehen machen, das Menschen nicht belehrt, sondern zeigt, was ist. Das Menschen eine Stimme gibt und ihnen aus der Seele spricht.“ 

500 Reporter seien dafür im Einsatz, so Reichelt. „Ach herrje, wo nimmt der bloß die Zahl 500 her?“, wundert sich der Bild-Redakteur im Gespräch mit der JF. „Der zählt dann auch den letzten Tischredakteur und jeden Freien Mitarbeiter dazu.“ Frontfrau des menschelnden Bild-TV-Formats ist Nele Würzbach. Ihre Mutter Alexandra, Chefredakteurin der Bild am Sonntag, wurde Reichelt gerade als Kollegin bei Bild zur Seite gestellt. Programm-Chef soll Claus Strunz werden, schon im Jahr 2000 Springers Koordinator für „Synergien zwischen Print-Titeln und Online-Aktivitäten“. Strunz ist seit 2014 einer der zwei Geschäftsführer der TV-Produktionsgesellschaft Maz & More, die wiederum eine 100prozentige Tochter der 2014 gegründeten WeltN24 GmbH ist, welche den Nachrichten- und Dokumentationssender der Welt betreibt. Mit „Welt“, „N24Doku“ und dem geplanten „Bild Live“ hätte Springer drei TV-Sender.

Angesichts des für viele überraschend glimpflichen Ausgangs des Compliance-Verfahrens, das laut Verlag die „enormen strategischen und strukturellen Veränderungsprozesse“ berücksichtigte, kann sich Reichelt ein Versagen nicht leisten.