© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Das Geheimnis eines Sommers
Belletristik: Benedict Wells erzählt in „Hard Land“ vom Erwachsenwerden eines Außenseiters
Dietmar Mehrens

Auf Sat.1 startete 1999 die Fernsehserie „Dawson’s Creek“ über vier Heranwachsende in einem malerischen amerikanischen Provinznest, die sich für Bücher und Filme interessieren und sich darüber in druckreifen Dialogen auf Uni-Seminar-Niveau unterhalten. Außerdem ging es um die erste Liebe, den ersten Kuß und die Schwierigkeiten, die entstehen können, wenn Freundschaft und Liebe sich miteinander verschränken.

Benedict Wells’ neuer Roman „Hard Land“, Startauflage: 120.000, ist „Dawson’s Creek“ in Literaturform. Dawsons beste Freundin Joey heißt hier Kirstie, ist ein bißchen verrückt und die Tochter des Mannes, der das letzte Kino in Grady/Missouri betreibt. Als der unter einer Angststörung leidende Held des Romans, Ich-Erzähler Sam, einen Ferienjob in dem Kino annimmt, beginnt für den Fünfzehnjährigen der Sommer seines Lebens.

„Innendrin sind wir uns sehr ähnlich“, gibt Autor Wells (37), ein Enkel des NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach, zu. „Ich war ein schüchterner Mensch, der manchmal die Flucht nach vorne machen mußte.“ Außer Kirstie, in die er sich ziemlich bald verliebt, helfen Sam auf seiner Flucht nach vorn die beiden anderen Kino-Aushilfskräfte: der bisexuelle Cameron und der Farbige Brandon, wegen seiner Größe Hightower genannt. Alle drei sind älter als Sam und rüsten sich bereits für ihr Leben nach der Schule, weswegen von vornherein feststeht, daß die Freundschaften dieses Sommers nicht von Dauer sein werden.

Ein Produkt filmisch genährter Sehnsucht

Mutproben, Besäufnisse, Prügel, Partys, Picknicks am See und das gemeinsame Abhängen in Larrys Imbißbar oder auf dem Kinogebäude: Wells reiht Szenen aneinander, die man so oder so ähnlich bereits gesehen zu haben meint. Geschickt baut er Referenzwerke in die Handlung ein. „Dawson’s Creek“ gehört nicht dazu, weil der Roman 1985 spielt, doch Kultfilme wie „Zurück in die Zukunft“, „American Graffiti“ oder „Die letzte Vorstellung“ standen bei „Hard Land“ Pate und dürfen als Zeitkolorit herhalten.

Der Roman, nach Auskunft des Autors mehr das Produkt filmisch genährter Sehnsucht als eigener Erfahrung, ist aus so vielen bekannten Versatzstücken zusammengewoben, daß man sich fast wundern muß, daß dabei am Ende trotzdem etwas Neues herausgekommen ist und kein eklektizistisches Flickwerk. Doch Wells ist ein famoser Erzähler, ebenso ingeniös wie unprätentiös. Die Vergeblichkeit und Vergänglichkeit des Seins, ein Thema, für das der fiktive Gedichtband „Hard Land“ als Schlüsseltext fungiert, beschäftigte den Autor früher schon. Und auch wenn sein neues Buch nicht an das für einen Mann Anfang dreißig erstaunlich reife und abgeklärte „Vom Ende der Einsamkeit“ (2016) heranreicht, mit dem Wells ein kleines Meisterwerk gelang, sondern in Ton und Thematik viel näher bei „Fast genial“ liegt, das dem gebürtigen Münchner 2011 den Durchbruch brachte, ist es purer Lesegenuß. Nichts an dem Text wirkt gekünstelt, seine Metaphern sind so geistreich wie unaufdringlich. Von selbstverliebten Sprachexperimenten und gespreizter Wortakrobatik keine Spur. 

Der Autor reflektiert nicht, er reproduziert

Aber „Hard Land“ wirft auch die Frage auf: Wenn Autoren nicht mehr Selbsterlebtes literarisch verarbeiten, sondern nur noch auf Bildschirmen und Monitoren Gesehenes, wie relevant kann diese Literatur dann noch sein? Wells reflektiert nicht, er reproduziert. Man erkennt das an den vielen Denkschablonen, die er übernimmt aus der Flut der mit dem geistigen Hauptstrom schwimmenden Film- und Fernsehproduktionen. Tausendfach hat man darin die Normalität abwegiger sexueller Orientierungen, einen entspannten Umgang mit Marihuana und die Abkehr von der als altväterlich empfundenen christlichen (Sexual-)Moral mit serviert und so das Gehirn gespült bekommen mit Werbung für einen neuen, vermeintlich undogmatischen Humanismus.

„Hard Land“ ist ein Produkt dieser Hirnspülung. Denn trotz vieler zitierfähiger Gedanken eines wachen Geistes, trotz kluger Aphorismen zu überzeitlichen Themen, trotz der vielen, oft auch ironischen Verweise auf stilbildende Werke läßt das Buch erstaunlich wenig kritische Distanz zu dem erkennen, was bei den Härtetests Schuld, Leid und Tod nur eine mäßige Erfolgsbilanz vorweisen kann; auch hier: Nach dem Tod der Mutter, der den dramatischen Wendepunkt der Erzählung bildet, hat Sam keine Lust auf eine Trauerfeier, bei der man sich „in Stellen aus der Bibel“ flüchtet. Er ersetzt das vom „schrecklich“ konservativen Pfarrer bevorzugte Lied „Victory in Jesus“ durch „Dancing with Myself“ des Punkbarden Billy Idol. Auf die Idee, daß in der Botschaft von „Victory in Jesus“ ein Trost liegen könnte, der Zerstörungswutattacken obsolet macht, kommt in dem Roman keiner. Vielleicht wäre das für die Generation Youtube auch zuviel des Guten gewesen. 

Benedict Wells: Hard Land. Roman. Diogenes, Zürich 2021, gebunden, 352 Seiten, 24 Euro