© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/21 / 02. April 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Parkplätze statt Pathos
Paul Rosen

Deutschland tut sich schwer mit seinen Jahrestagen. Noch immer sei man weit davon entfernt, den 17. Juni mit der gleichen Emphase zu benennen wie die Tschechen ihren Prager Frühling oder die Polen ihre Solidarnosc, befand der damalige Bundespräsident Joachim Gauck am 17. Juni 2013 bei einer Feierstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages anläßlich des 60. Jahrestages des Volksaufstandes in der DDR;  man solle ihn als Symbol der Freiheitstradition aus der „Erinnerungsreserve“ herausholen. 

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: Es besteht der Eindruck, daß Jahrestage wie der 17. Juni und auch der 9. November (Fall der Mauer), die für den Freiheitswillen des deutschen Volkes stehen, zu einer „Gedenkroutine“ (Gauck) verkümmert sind. Andere Jahres- und Schicksalstage werden mit erheblich größerem Aufwand begangen.

Gerade der 17. Juni ist für die Politik weitgehend belanglos geworden. Im Bundestag reichte es im vergangenen Jahr gerade noch zu einer „vereinbarten Debatte“, bei der die meisten Fraktionen Hinterbänkler nach vorn schickten und für die Bundesregierung deren Ostbeauftragter Marco Wanderwitz (CDU) sprach, der im Rang unterhalb des bedeutungslosesten Staatssekretärs steht. Die AfD bot immerhin Tino Chrupalla, einen ihrer Bundessprecher auf, der den Mut der Menschen, sich zu erheben, würdigte.

Für die SPD-Abgeordnete Katrin Budde war der Volksaufstand ein „Nadelstich“ gegen das kommunistische System, für Petra Paul (Linke) ein „schwarzer Tag in der DDR“ gewesen. Manfred Grund (CDU) verlangte einen „entspannten Umgang“ mit nationalen Symbolen, und Monika Lazar (Grüne) meinte, in Westdeutschland habe ein wenig überzeugender „paternalistischer Blick“ auf die „armen Brüder im Osten“ vorgeherrscht. Keiner der Redner bemühte sich noch um sprachliche Empathie wie einst Bundespräsident Theodor Heuss: „Um die Freiheit geht es! Um die Freiheit des Menschen, um die Freiheit der Menschen. Freiheit des Menschen in seinem politischen, in seinem religiös-kirchlichen Bekenntnis, daß er von Angst und Bedrängnis befreit den Sinn seines Lebens selber suchen und zu erfüllen trachten könne.“

Das Niveau sinkt noch tiefer. Im Plenarsaal des Bundestags soll am 17. Juni dieses Jahres die Personalversammlung der Beschäftigten der Bundestagsverwaltung stattfinden. Hintergrund ist die Corona-Pandemie, die zur Einhaltung von Mindestabständen zwischen den Teilnehmern zwingt. Das könne man nur im Plenarsaal, argumentierte der Personalrat. 

Der Ältestenrat des Bundestages stimmte jüngst zu, daß an diesem Ort, wo über die wichtigsten Dinge der Bundesrepublik gestritten und entschieden wird, jetzt ausgerechnet noch an solch einem geschichtsträchtigen Tag über Parkplätze in der Tiefgarage und die Essensausgabe in den Kantinen berichtet werden soll. Wenigstens der FDP-Abgeordnete Marco Buschmann regte mit Blick auf die Geschichte an, die Personalversammlung auf den 16. Juni vorzuziehen.