Der Politikwissenschaftler Karsten D. Hoffmann promovierte bei Eckhard Jesse und Armin Pfahl-Traughber als Zweitprüfer. Jesse ist durch seine enge Kooperation mit Verfassungsschützern bekannt, Pfahl-Traughber war gar Referatsleiter der Behörde. Das liefert eine Erklärung für Hoffmanns zarte Rücksichtnahmen gegenüber den politisch links dominierten Eliten. Mehrfach erwähnt er in seinem neuen Buch Verständnis für die radikale Linke in ihrem „Kampf gegen Rechts“, um im Gegenzug deren Militanz und die Auswirkungen ihres Tuns zu kritisieren. Und umfassend erklärt Hoffmann, welche Maßnahmen die etablierte Politik zu ergreifen hätte, um des Problems des Linksradikalismus auf lange Sicht wieder Herr zu werden. Doch der Appell geht ins Leere, wie er frustriert am Ende feststellen muß.
Dabei nennt Hoffmann ausreichend Fakten, die auf die richtige Spur weisen: die Solidarisierung mit dem Linksradikalismus von seiten der drei linken Bundestags-Parteien Die Linke, Grüne und SPD (Bekenntnis der Parteivorsitzenden Saskia Esken „Antifa: Selbstverständlich“), die Duldung durch Union und FDP, die Sympathien in der Journalistenkaste. Die Fördergelder für die zahlreichen Präventionsprogramme „gegen Rechts“ summieren sich seit 2000 auf rund eine halbe Milliarde Euro, während „gegen links“ fast nichts investiert wurde. Wer eins und eins zusammenzählen kann, hat die Lösung. Es ist nicht ansatzweise gewollt, „linke Militanz“ ernsthaft zurückzudrängen. Wie die durchdrehenden „Kostüm-Nazis“ hat auch die linke Szene eine systemrelevante Funktion für die herrschenden Eliten. Die „militante Linke“ ist bestimmten politischen Kreis der Republik zu wichtig dafür, Ansätze von Opposition bereits im Keim zu ersticken, als daß auf sie zu verzichten gewollt ist. Nur wenn sie den Bogen überspannt (jüngst in Leipzig-Connewitz oder bei der „Liebig 34“ in Berlin), folgen vereinzelte staatliche Reaktionen.
Hoffmann erkennt richtig, daß die Macht des bundesdeutschen Linksradikalismus viel größer ist, als es die Anhängerzahlen vermuten lassen. Linksradikale sind entschlossen, organisiert und ohne Skrupel gegenüber ihren geistigen Gegnern. Somit bestimmen sie durch ihre Militanz nicht unerheblich, welche öffentlichen Veranstaltungen ungestört stattfinden, welche nach Drohungen abgesagt werden oder nur unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt werden können.
Es obliegt ihren Mediennetzwerken, den Leumund Andersdenkender zu beschädigen, um diese aus Schlüsselpositionen zu drängen oder ihnen berufliche und private Probleme zu bereiten oder sie sozial zu vernichten. Auch das Mittel der Gewalt wird eingesetzt, um nach Bedarf Menschen zum Verstummen und zum Rückzug aus der Öffentlichkeit zu zwingen. Sie schränken die Meinungsfreiheit durch ein Klima der Angst ein. So beseitigen sie scheibchenweise politisch Andersdenkende aus dem öffentlich wahrnehmbaren Raum, um dort die Dominanz ihrer Positionen auszubauen.
Das Vertreten von Positionen, die der ideologischen Agenda der radikalen Linken widersprechen, wird von dieser als „Angriff“ interpretiert, gegen den das Mittel der „Gegenwehr“ legitim ist. Gerade gegenüber „Rechten“ wird auf diese Weise Gewalt als angebrachte Bestrafung bewertet. Straßengewalt führt zwar zu keiner Revolution, aber immerhin zur Stärkung des Selbstverständnisses der linksradikalen Szene, mit ein paar Stunden Randale hektische Reaktionen der Staatsgewalt erzeugen zu können und damit die eigene revolutionäre Attitüde zu pflegen.
„Kulturzentren“ dienen der offiziellen Rekrutierung
Klandestine Aktionen, zum Beispiel gegen Versammlungen oder Privatwohnungen von „Rechten“, werden hingegen von straff organisierten regionalen Kleingruppen in oft nur Sekunden dauernden Überraschungsangriffen durchgeführt. Hoffmann führt aus, daß es dabei zu teils bizarren Verwechslungen und Kollateralschäden kommen kann. Vor allem aber geht es um die psychologische Wirkung. Es wird proklamiert, daß die „Linken“ ihr Opfer kennen und jederzeit wiederkommen können, wenn es sich nicht aus der Öffentlichkeit zurückzieht oder Abbitte leistet.
Hoffmann hat für seine Arbeit über „linke Militanz“ eine große Zahl an Quellen und Statistiken ausgewertet. Dabei zeigt er eindrücklich, daß Einfluß und Gewalt auf linker Seite viel größer als bei „militanten Rechten“ sind – auch wenn maßgebliche Politiker bis hinauf zum Bundespräsidenten nicht müde werden, das Gegegnteil zu behaupten. Dieses Bild wird in offiziellen Verlautbarungen anhand quantitativer Erhebungen auch dadurch verstärkt, weil zahlreiche Propagandadelikte der Statistik als „rechte“ Straftaten subsumiert werden, für die es auf linker Seite gar kein Pendant gibt. Das geht bizarrerweise sogar soweit, daß ein von Linken an ein AfD-Büro geschmiertes Hakenkreuz, wie ein Fall aus Sachsen-Anhalt 2019 dokumentiert, später als „rechtsmotivierte“ Straftat polizeilich erfaßt wurde.
Interessant sind vor allem die soziologischen Analysen Hoffmanns. Zum Beispiel finden die meisten Aktionen der linksextremistischen Szene am Wochenende und am Semesterbeginn statt, was auf geregelte Arbeitsverhältnisse oder den Besuch von Bildungseinrichtungen schließen läßt. Meist stammen die Aktivisten aus bürgerlichen deutschen Elternhäusern. Entgegen der „herrschaftsfreien“ Rhetorik üben die Szenen nicht nur Herrschaft gegenüber ihren Opfern aus, sondern auch intern durch Gruppenhierarchien. Dienen die nicht selten staatlich unterhaltenen „Kulturzentren“ der offiziellen Rekrutierung von Einnahmen und Neuinteressenten, so werden die militanten Aktionen nur in einem kleinen Zirkel geplant.
Hoffmann betont nicht ganz ohne Anerkennung, daß es sich bei den militanten Linken um ideologisch gefestigte, sich als moralisch höherwertig verstehende und entschlossen agierende Vorkämpfer für eine anarchistische oder kommunistische Gesellschaft handelt. Konservative unterschätzen regelmäßig die Überzeugungstiefe und die Solidarität der Linksradikalen, wenn sie nur von „Chaoten“ sprechen.
Karsten D. Hoffmann: Gegenmacht. Die militante Linke und der kommende Aufstand. Gerhard-Hess-Verlag, Bad Schussenried 2020, broschiert, 252 Seiten, 16,99 Euro