© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Studentischer Psychoterror
Kampagne: An der Berliner Humboldt-Uni wird ein Zentrum für Diktaturforschung verhindert
Thorsten Hinz

Den Traum vom Interdisziplinären Zentrum für Diktaturforschung muß der Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski bis auf weiteres begraben. Der Akademische Senat der Berliner Humboldt-Universität hat das Projekt gekippt, wobei die vier Stimmen der Studentenvertreter laut Pressemeldungen den Ausschlag gaben. Baberowski wollte gemeinsam mit acht Historikern und fünf Juristen das Wie und Warum der Entstehung von Diktaturen in Europa, Lateinamerika und China erforschen.

Das Nein des Senats war keine Überraschung, nachdem er im Juni die Entscheidung überraschend verschoben hatte. Vorausgegangen waren Indiskretionen, die das Projekt in Zweifel zogen, und die Kampagne gegen die Person Baberowskis, der bereits seit Jahren von der trotzkistischen Splittergruppe „International Youth and Students for Social Equality“ (IYSSE) verfolgt wird. Die Angriffe richten sich sowohl gegen seine politische Haltung – Baberowski ist ein scharfer Kritiker von Merkels Grenzöffnung – als auch seine wissenschaftliche Arbeit.

Die IYSSE rühmte sich, mit Hunderten Flugblättern und Plakaten den Protest gegen das Projekt mobilisiert zu haben. Der Allgemeine Studierendenausschuß (AStA) informierte die Presse über die Abstimmung, verwies auf die Kritik und verbreitete: „Prof. Baberowski soll ein Institut erhalten, das die Verharmlosung des Nationalsozialismus forciert.“ 

Ein Parterre-Niveau! Der Deutschlandfunk zitierte die Soziologiestudentin und Studenten-Funktionärin Bafta Sarbo, Tochter ostafrikanischer Flüchtlinge, die der Kommission für Frauenförderung angehört: Baberowski sei durch Aussagen aufgefallen, „die wir als flüchtlingsfeindlich bezeichnen würden. Und in diesem Zusammenhang sehen wir einfach nicht, daß ein Institut, das von Herrn Baberowski maßgeblich politisch gestaltet wird, vereinbar ist mit den Prinzipien, die diese Universität für sich formuliert hat, also Antidiskriminierung und Diversität.“

Eine Nachfolgerin Hannah Arendts, Arnold Gehlens oder Max Webers und eine Vertreterin des Humboldtschen Bildungsideals kündigt sich hier gewiß nicht an. Wie auf der Internet-Präsentation des Gorki-Theaters, der multikulturellen Spielstätte im Zentrum Berlins, zu lesen ist, arbeitet Sarbo „zum Verhältnis von Marxismus und Antirassismus. Sie ist politisch unter anderem aktiv im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und arbeitet dort zu Racial Profiling, Migrationspolitik und Rassismen in Deutschland.“ 

In dasselbe Horn stieß AStA-Funktionär João Fidalgo. Baberowski würde „schon lange streitbare Positionen zum Stalinismus, Nationalsozialismus und zum Zweiten Weltkrieg (verbreiten). Er scheint die Wurzel allen Übels in der russischen Revolution zu verorten und das kann zu teils relativistischen Ansätzen führen, die sich vor allem durch Antikommunismus auszeichnen.“ Der Urheber dieses kryptokommunistischen Wirrwarrs studiert übrigens Philosophie auf Master. Die Indiskretionen, die Baberowkis Projekt sabotieren sollten, kommentierte er zynisch: „(...) der soll halt damit klar kommen, wenn er schon so groß rumtönt, welch widerständiger Wolf der ist“.

Die Linkssektierer sind keine isolierte Gruppe. Sie sind hervorragend vernetzt und verfügen über einflußreiche Unterstützer und Sympathisanten. 2017 war in zweiter Instanz ein Gerichtsurteil ergangen, wonach der Bremer AStA wieder behaupten darf, Baberowski „verbreite erschreckend brutale gewaltverherrlichende Thesen, verharmlose das Anzünden und Belagern von Flüchtlingsunterkünften als natürliche Reaktion verärgerter Bürger, begegne Menschen mit blankem Haß, stehe für Rassismus und vertrete rechtsradikale Positionen. Die Frankfurter Rundschau triumphierte damals: „Bremer AStA besiegt Talkshow-Professor“.

Im Tagesspiegel, der größten Berliner Tageszeitung, durfte der Historiker Wolfgang Benz sich seiner Lieblingsbeschäftigung als politischer Kammerjäger betätigen und schlug in einem langen Artikel den Bogen von Baberowski über Treitschke („Die Juden sind unser Unglück“) zum Stürmer-Herausgeber Julius Streicher und stichelte: „Die Humboldt-Universität wird also mit einem Hochschullehrer umgehen müssen, den man rechtsradikal nennen darf (…).“

Benz wiederum berief sich auf den SPD-nahen Bremer Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano, der in der Frankfurter Rundschau die von Baberowski angestrengte Unterlassungsklage gegen den Bremer AStA „die Selbstinszenierung eines Rechten“ genannt hatte. Er warf dem Historiker neben der „revisionistischen und nationalistischen Rede“ die Rehabilitierung des Historikers Ernst Nolte vor. Er spräche dem „Holocaust die Singularität“ ab und wolle „die freie Rede über Rechtsradikalismus verbieten“. Er forderte die Humboldt-Uni auf, sich „zu der Perfidie dieses Vorgehens“ zu erklären.

Das Verfahren ist bekannt unter dem Titel: „Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken!“ Der Begriff „rechtsradikal“ ist keine valide Kategorie, sondern durch eine gezielte ideologisch-pejorative Aufladung – „Framing“ – zum Suggestiv- und Kampfbegriff geworden, der den so Bezeichneten ganz knapp oberhalb von Kinderschändern einordnet.

Indirekt räumten die Artikel von Benz und Fischer-Lescano ein, daß ein Zusammenhang zwischen Merkels Politik der offenen Grenzen und der bundesdeutschen Geschichtspolitik besteht, die die Schuldtranszendenz als Staatsidee implementiert. Da Baberowski beides kritisiert beziehungsweise in Frage stellt, muß ihm nun der Zuwachs an Renommee und Einfluß verwehrt werden, den die Leitung eines neuen Forschungszentrums mit sich brächte.

Baberowski wird heute, wie Mariam Lau vor zwei Jahren in der Zeit schrieb, von den Dämonen seiner Vergangenheit eingeholt. Er war selber Mitglied des Kommunistischen Bundes gewesen und hatte den Psychoterror und Unterwerfungszwang dieser Sektierergruppe selber durchexerziert. Diese Erfahrung mag heute seine außergewöhnliche Widerständigkeit gegenüber dem ausgeübten Psychoterror erklären.

Nicht jeder verfügt über diese Stärke. Der Soziologe Wolfgang Engler schrieb aus eigenem Erleben über die Geisteswissenschaften an DDR-Universitäten, daß der „(einstige) Hort der Kritik“ dort „an dumpfem Gemeinsinn“ erstickt sei; „klassisch-bürgerliche Disziplinen wie Jura und Philosophie wurden (…) systematisch entbürgerlicht und ‘proletarisiert’“. Die Professoren, anstatt ihren Mitarbeitern und  Studenten ein Beispiel für unabhängiges Denken zu geben, hätten ihnen „geistige Unterwerfung und soziale Anpassung“ vorgelebt.

Der Anpassungszwang im universitären Bereich ist heute ein systemübergreifendes und nicht auf die Bundesrepublik beschränktes Phänomen, wobei bemerkenswert ist, daß der Zwang weniger aus der Institution als der Studentenschaft kommt, auch wenn es nur eine Minderheit ist, die ihn ausübt. Karl Jaspers und José Ortega y Gasset  bezeichneten 1930 das „existentielle Plebejertum“ beziehungsweise die Herrschaft des „geistigen Plebs“ als ein neuartiges Phänomen der Massengesellschaft. Das Volk, so Ortega y Gasset, hätte früher Glaubenslehren, Überlieferungen, Sprichwörter gehabt, sich jedoch niemals eingebildet, „Ideen“ und „theoretische Einsichten“ über die Welt zu besitzen. Es gab ein gesundes Gefühl der eigenen Begrenztheit, die Ehrfurcht vor Maßstäben, Grundregeln der Erkenntnis, vor Hierarchien und geistiger Autorität. Wo dies alles fehle, herrsche statt der Kultur die Barbarei, in der Gedanken nicht mehr begründet, sondern durchgesetzt würden. In Wahrheit handele es sich „nur (um) Triebe in logischer Verkleidung“. Neben dem Faschismus und Kommunismus bietet ihnen auch die Massendemokratie ein weites Betätigungsfeld.

Würde man den Zustand zu verändern versuchen, indem man dem Zugang zur Hochschule eine Befähigungsprüfung vorschaltet, würde der demokratische Mehrheitswille sein Veto einlegen. Denn der Bildungs- und soziale Aufstieg ist für ihn ein Recht, das nötigenfalls auch durch die Nivellierung der Maßstäbe durchgesetzt werden muß. 

Heute werden an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten Heerscharen an Soziologen, Psychologen, Historikern und Allerweltsexperten „zu ‘Intellektuellen’ ausgebildet“, aus denen sich ein „Intelligenzproletariat“ rekrutiert: Formal Hochgebildete, in Wahrheit höchstens Mittelmäßige, die am Tropf von Förderprogrammen hängen oder arbeitslos werden und einen aggressiven Groll auf die Gesellschaft hegen, wie der Bevölkerungswissenschaftler Volkmar Weiss in dem Buch „Die Intelligenz und ihre Feinde“ schreibt. Zu wertschöpfender Tätigkeit außerstande, stürzen sie sich auf die Vergangenheitsbewältigung, den Kampf gegen Rechts, gegen Rassismus, für Diversität, Migration und gegen Sexismus und Diskriminierung. „Sie sind fester Bestandteil des Regulationskreislaufs, des Umschaltens der Evolution auf negative Selektion, der die demokratischen Systeme der Industriestaaten in den Niedergang treibt“ (V. Weiss).

Die Studentenvertreter bilden darin eine intelligenzproletarische Aristokratie. Zwar vertreten sie nur die acht Prozent der Studenten, die sich an den AStA-Wahlen überhaupt beteiligt haben, doch Minderheiten sind in der Lage, Mehrheiten zu dominieren, wenn sie nur radikal, geschickt und entschlossen genug vorgehen.