© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Für Dietrich Bonhoeffer war eines klar: „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen.“ Das Schweigen der Kirche hielt er für einen Sündenfall.
Ökumenischer Übervater
Gernot Facius

Sein Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, vor Weihnachten 1944 in Haft geschrieben, hat ihn über die Sphären der Theologie hinaus bekannt gemacht. Die siebte Strophe hängt gerahmt in vielen Wohnungen, von Protestanten wie von Katholiken. Weltweit gibt es mehr als 50 Vertonungen. Dietrich ­Bonhoeffer (1906–1945) ist längst zu einem ökumenischen Über-Kirchenvater geworden. 

Mit seinem Diktum, daß Kirche vor allem Kirche für andere zu sein habe, brach der in Breslau geborene Sohn eines Klinikdirektors mit der alten Kirchen-Innerlichkeit. Nicht im Möglichen schweben, sondern das Wirkliche tapfer ergreifen! Glaube als Christus-Nachfolge, mit allen Konsequenzen. Das ist das Vermächtnis des am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg Ermordeten. 

Schon 1933, drei Monate nach Hitlers Macht-

übernahme, hatte er sich mit dem Gedanken getragen, „nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“. Sein Appell: Widerstehen und Beistehen! 1942 traf Dietrich Bonhoeffer, der aus seiner Studienzeit vielfältige Kontakte ins Ausland pflegte, in Schweden den britischen Bischof George Bell. Er informiert ihn über die Widerstandsgruppe um Admiral Canaris, der er angehörte, und ihre Ziele. „Völlige Vernichtung des ganzen Hitler-Regimes“ wird später in Bells Aufzeichnungen über diese Begegnung mit dem Mann zu lesen sein, der in die Attentatspläne gegen Hitler eingeweiht war. 

Die Akten über dieses Treffen bedeuten am Ende den Tod des Mitglieds der Bekennenden Kirche. Von Karl Barth hatte Bonhoeffer gelernt, daß Christsein Entscheidung bedeute. Gleichwohl zeigte er Distanz zu Barth, als dieser Theologie und Kirche nahelegte, unbeirrt durch tagespolitische Vorgänge so bei der Sache des Glaubens zu bleiben, wie die Benediktiner vom rheinischen Kloster Maria Laach ihren täglichen Horen-Gesang fortsetzten. Nein, konterte der Barth-Schüler: „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen.“ 

Bonhoeffer, seit 1933 eine treibende Kraft gegen die Judenverfolgung durch das NS-Regime, hielt das Schweigen der Kirche nach den Pogromen 1938 für einen Sündenfall. Daß diese Kirche erst 1950, also fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in ihrer Erklärung von Weißensee eine radikale theologische Wende vollzogen und jegliche Art des Antijudaismus verurteilt hat, hat er nicht mehr miterlebt. 

Glaube und ethische Tat dürften nicht zerrissen werden, hatte er in Deutschlands dunkelster Zeit gepredigt. Allein durch ein „heiliges Leben“ komme man nicht zum Glauben. Ein Christ müsse bereit sein, Schuld auf sich zu nehmen, um Schlimmeres zu verhüten, rechtfertigte er nach langer Gewissensprüfung das Ja zum Tyrannenmord. Ein revolutionär anmutender Gedanke eines Mannes aus großbürgerlichem Milieu, für den Regierungsgewalt einem Mandat Gottes gleichkam. „Nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.“

Daß Kirche nicht missionieren kann, wenn sie nicht selber Mission ist, daß Glaube und Lebenswirklichkeit zusammengehören, das gehört mittlerweile zu den festen ökumenischen Grundsätzen. Bonhoeffer spaltet heute nicht mehr, im Gegensatz zur unmittelbaren Nachkriegszeit. Aber seine Theologie ist fragmentarisch geblieben. Es blieb ihm versagt, seine Überlegungen zum religionslosen Christentum oder zur Idee einer „Kirche für andere“ systematisch zu entfalten. 

Aus unterschiedlichen Richtungen beruft man sich heute auf den Pastor, der gegenüber Protestanten, die sich der NS-Ideologie ergaben, äußerst scharf formulierte: „Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche trennt, trennt sich vom Heil.“ Mit dieser Kirche verband Bonhoeffer damals die Hoffnung auf eine „neue Kirche“. Die Frage ist nicht so abwegig: Wie würde er heute auf die Evangelische Kirche in Deutschland schauen? Wieweit glaubt sie noch?






Gernot Facius, Jahrgang 1942, arbeitete von 1976 bis 2013 für die Welt, unter anderem als Nachrichtenchef, stellvertretender Chefredakteur und Autor für Religion und Gesellschaft. Heute ist er freier Journalist.