© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Werner Schrader gehört zu den weitgehend Unbekannten des Widerstands. Schon vor 1933 geriet der Weltkriegsveteran und „Stahlhelmer“ mit den Nationalsozialisten in Konflikt.
Gegner der ersten Stunde
Christian Vollradt

Neben der Leiche lag ein Zettel: „Ich gehe nicht ins Gefängnis, ich lasse mich nicht quälen.“ Am Nachmittag des 28. Juli 1944 hatte sich Oberstleutnant Werner Schrader in seiner Wohnbaracke im Oberkommando des Heeres in Zossen mit der Dienstpistole erschossen. Mit seinem selbstgewählten Tod wollte er verhindern, unter Folter womöglich Namen anderer Offiziere preiszugeben, die mit ihm an der Beschaffung und Verwahrung eines Teils des beim Attentat vom 20. Juli verwendeten Sprengstoffs beteiligt waren. Vor allem hatte Schrader nach einer zufälligen Entdeckung eines Sprengstoffvorrats 1943 weitere Ermittlungen maßgeblich mit verhindern können. Nachdem sich aber der Abwehroffizier Wessel Freytag von Loringhoven, dem Schrader Ende Juni 1944 Sprengmaterial für Stauffenberg übergeben hatte, bereits drei Tage nach dem Attentat das Leben genommen hatte, war es nur eine Frage kurzer Zeit, bis die Gestapo auch ihm auf die Spur kommen würde. 

Werner Schrader gehört zu den weitgehend Unbekannten des Widerstands; er war jemand, den man heute einen „Netzwerker“ im Hintergrund nennen würde. Bemerkenswert an ihm ist, daß er zu den frühen – rechten – Gegnern des nationalsozialistischen Regimes gehörte. 1895 in kleinbäuerlichen Verhältnissen bei Königslutter am Elm geboren, absolvierte er das Lehrerseminar in Wolfenbüttel und diente im Ersten Weltkrieg zunächst als einfacher Soldat, bei Kriegsende als Leutnant der Reserve. Seit 1926 führte Schrader den Stahlhelm-Landesverband im Freistaat Braunschweig. Als ein erklärter Anhänger des „Neuen Nationalismus“ verschaffte er sich hohes Ansehen weit über den Bund der Frontsoldaten hinaus, weil er sich für soziale Belange engagierte: Stellenvermittlung für Arbeitslose, Bau von Wohnunterkünften und Ferienheimen. Außerdem brachte er Kriegsinvaliden als verbeamtete Briefträger bei der Reichspost unter. Er holte den Nationalrevolutionär Friedrich Wilhelm Heinz („Sprengstoff“) als Geschäftsführer zum Braunschweiger Stahlhelm und gab das Ziel aus: die „Gewinnung des Arbeiters für die Nation“. 

Früh legte sich Schrader jedoch mit den Nationalsozialisten an, die in Braunschweig schon zu Beginn der dreißiger Jahre gemeinsam mit den Deutschnationalen eine Regierung gebildet hatten. Diese Gegnerschaft gipfelte schließlich in einem gewaltsamen Konflikt, der als sogenannter „Braunschweiger Stahlhelmputsch“ in die Geschichte einging. Weil er in der wachsenden Machtfülle der SA eine Gefahr sah, wollte Schrader den Stahlhelm zu einem Gegengewicht aufbauen. Deshalb nahm er im Frühjahr 1933 gezielt Reichsbanner-Leute, Sozialdemokraten und sogar frühere Kommunisten in den Frontsoldatenbund auf. Als in Schraders Abwesenheit am 27. März 1933 diese neuen Stahlhelmer inspiziert wurden, stürmten SA und SS unter dem Vorwand, einen angeblich geplanten Putsch zu verhindern, unter brutaler Gewaltanwendung das Gebäude. Schrader wurde später wegen Verdachts des Hochverrats verhaftet und aus dem Schuldienst entfernt. Stahlhelm-Chef Franz Seldte, Minister im Kabinett Hitler, konnte ihn loseisen und zunächst als Referenten in seinem Ministerium unterbringen. In dieser Zeit befreundete sich Schrader mit Edgar Julius Jung (siehe Seite 4). Nach dessen Ermordung am 1. Juli 1934 mußte auch Schrader für kurze Zeit untertauchen.

Sein alter nationalrevolutionärer Mitstreiter Heinz half ihm schließlich, 1937 als Hauptmann in die Wehrmacht (Amt Abwehr) aufgenommen zu werden und so den Drangsalierungen zu entgehen. Seit Kriegsbeginn sammelte Schrader mit anderen Offizieren der Abwehr Dokumente, auch über von SS-Einsatzgruppen verübte Kriegsverbrechen. Die brisanten Akten zu vernichten, schaffte er nicht mehr. Die Dokumente zeigten, daß die vom Regime behauptete Verschwörung einer „ganz kleinen Clique ehrgeiziger und kriegsmüder Offiziere“ (Hitler) nicht der Wahrheit entsprach. Es sei erwiesen, so rapportierte der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Ernst Kaltenbrunner, daß „bereits in früheren Jahren Pläne gelaufen sind, im Wege militärischer Maßnahmen einen Regierungswechsel herbeizuführen“.






Christian Vollradt, Jahrgang 1973, leitet das Politikressort der JF.