© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Albrecht Haushofer brachte in den im Gefängnis entstandenen „Moabiter Sonetten“ seinen ganzen Schmerz über das Schicksal des Vaterlandes zum Ausdruck.
Seine Pflicht erkennen
Till Kinzel

Albrecht Haushofer, 1903 in München geboren, trat beruflich in die Fußstapfen seines Vaters Karl Haushofer, der als einer der bedeutendsten Exponenten der Geopolitik gelten darf. Wie schon sein Vater hatte auch Albrecht die Gelegenheit, sich durch zahlreiche Reisen ein umfassendes Bild der Welt und ihrer politischen Geographie zu machen. 

Als Dozent (ab 1933) und Professor (1937) an der Berliner Hochschule für Politik lehrte er in einem durchaus heiklen Bereich, der in enger Beziehung zur zeitgenössischen Politik stand. Er pflegte damals einerseits enge Beziehungen zu Nationalsozialisten wie Rudolf Heß, den schon der Vater Karl zu seinem Assistenten gemacht hatte. Andererseits versuchte er auch als Mitarbeiter im Auswärtigen Amt unter Ribbentrop, mit Warnungen vor einer verfehlten Außenpolitik Einfluß zu nehmen – freilich ebenso erfolglos wie er Heß vor seinem Englandflug warnte. 

So ist es um so beachtlicher, daß Haushofer neben Politikberatung und akademischer Lehre auch schriftstellerisch tätig war: Er verfaßte in den dreißiger Jahren mehrere Historiendramen über Scipio, Sulla und Augustus, die als verdeckte Kritik des Machtmißbrauchs durch die Nationalsozialisten gelten müssen. Haushofer war so „mit Sicherheit der konsequenteste, vielleicht der bedeutendste unter den regimekritischen Autoren der NS-Zeit“ (Friedrich Denk). 

Als Sohn einer sogenannten „Halbjüdin“ gab er nach der Reichspogromnacht zu Protokoll: „Heute sind es die Juden. Morgen kommen andere Gruppen dran.“ Und als ein Jahr später der Krieg ausbrach, prognostizierte er in einem Brief an den Journalisten Hans Zehrer den kommenden Zusammenbruch der europäischen Zivilisation: „Der Körper des Abendlandes ist bereits tot, auch wenn das Kleid seiner äußeren Kultur noch erhalten ist. Der Krieg, in den wir jetzt hineingehen, wird auch dieses Kleid noch zerreißen.“ 

Haushofer stand mit den Verschwörern Johannes Popitz, Ulrich von Hassell und Fritz-Dietlof von der Schulenburg in Kontakt und gehörte zum erstaunlich großen Kreis der „Mitwisser“, die nicht unmittelbar am Umsturzversuch beteiligt waren, aber wohl von den Attentatsplänen wußten. Auch diese wurden von Freislers Volksgerichtshof als todeswürdige Verräter angesehen. 

Doch die Schuld, die Haushofer mit anderen auf sich geladen hatte, war eine ganz andere, wie er es auf zeitlos eindrucksvolle Weise in einem seiner Moabiter Sonette, die im Gefängnis geschrieben wurden, formulierte. Haushofer weist hier die Vorwürfe des Volksgerichtshofs entschieden zurück: „Ich trage leicht an dem, was das Gericht / mir Schuld benennen wird: an Plan und Sorgen. / Verbrecher wär’ ich, hätt’ ich für das Morgen / des Volkes nicht geplant aus eigner Pflicht.“ 

Aber er akzeptiert eine tiefere Schuld des zu späten Urteilens und Warnens; er hätte, so wirft er sich selbst vor, früher seine Pflicht erkennen und „schärfer Unheil Unheil nennen“ sollen. Denn erst sein Gewissen und dann auch andere betrogen und belogen zu haben trug dazu bei, daß sich „des Jammers ganze Bahn“ in der Hitlerdiktatur entfalten konnte. Haushofer bezog sich hier auch auf seine guten Beziehungen nicht nur zu Rudolf Heß und zur übrigen NS-Führungsriege: „Der Wahn allein war Herr in diesem Land.“ 

Nach dem gescheiterten Attentat versteckte sich Haushofer in den bayerischen Bergen, doch wurde er dort im Dezember 1944 von der Gestapo aufgespürt und verhaftet. Ein Gerichtsurteil gegen ihn erging nicht: Heute erinnert eine Büste Haushofers im Moabiter Spreebogen an seine Ermordung durch ein Sonderkommando des Reichssicherheitshauptamtes am 23. April 1945 in der Nähe des Lehrter Bahnhofs. 

Erst im Mai findet Haushofers Bruder Heinz im Mantel der Leiche das Manuskript der Moabiter Sonette, die noch im selben Jahr zum Druck gelangten: „Wie hört man leicht von fremden Untergängen,/ Wie trägt man schwer des eigenen Volkes Fall!“






Dr. Till Kinzel, geboren 1968 in Berlin, ist Historiker und Literaturwissenschaftler.