© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Helmuth James Graf von Moltke war der Begründer der bürgerlichen ­Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises. Vor der direkten Tat schreckte er zurück. Das Reich sollte von innen heraus zusammenbrechen.
Das Attentat verneint
Matthias Bäkermann

Sein zynischer Satz aus seinem Abschiedsbrief an Ehefrau Freya aus dem Januar 1945 beschreibt die Rolle Helmuth James Graf von Moltkes im Widerstand gegen Hitler unabsichtlich treffend: „Wir haben nur gedacht. (...) Wir sind aus jeder praktischen Handlung raus, wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben.“ Tatsächlich hatten auch seine Häscher um Roland Freisler keine direkte Beteiligung am Attentat vom 20. Juli nachweisen können. Dem cholerischen Präsidenten des Volksgerichtshofes gelang es nur mit windigsten Konstruktionen, Moltke zu verurteilen. Für den zwölf Tage später, am 23. Januar 1945, wegen „Verschwörung“ am Galgen hingerichteten juristischen Standesgenossen dürfte dieses Todesurteil damit die letzte Bestätigung des Unrechtscharakters des NS-Systems gewesen sein, das den in Schlesien aufgewachsenen Adligen früh in Opposition zum Regime brachte.

In der heutigen Reflexion des Widerstandes des 20. Juli erfährt Helmuth James Graf von ­Moltke eine besondere Würdigung. Dabei war er weit entfernt von einem Henning von Tresckow, der – „coûte que coûte“ – in der Beseitigung des Diktators die einzige Option sah. Der niederschlesische Gutsherr und Gastgeber des „Kreisauer Kreises“ scheute stets vor dieser Tat zurück. Ein weiterer Dolchstoß-Mythos, die „Legende einer verratenen Größe“, sei unbedingt zu verhindern, lieber möge das Regime samt seiner deutschen Vasallen die Katharsis „des völlig zu Ende geduldeten Niedergangs“ durchleben, um Deutschland in Zusammenspiel der europäischen Völker neu zu gründen. Stauffenberg, den er 1943 erstmals über seinen Freund Peter Graf Yorck von Wartenburg kennenlernte, beeindruckte ihn zwar stark – was allerdings nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Der spätere Hitler-Attentäter war über die Theorien des „Kreisauers“ erbost und vom arroganten Habitus des ungedienten Junkers abgeschreckt.

Dabei entsprach Moltke – tief religiös, patriotisch und weltgewandt – weder dem klassischen Klischee des englischen Lords mit Herrenreiter­attitüde noch jenem des patriarchalischen ost­elbischen Landadligen. Seine Familie – alter mecklenburgischer Adel – kam erst durch das Deputat des preußischen Königs an seinen 1866 siegreichen Feldmarschall Helmuth von Moltke – Moltkes Großonkel – nach Schlesien. Die Mutter stammte aus der britischen Oberschicht Südafrikas, sein Großvater war dort Oberster Richter. Aufgewachsen in der preußisch-deutschen wie britischen Sprache und Kultur, studierte Helmuth James Jura zuerst in Breslau, dann in Wien und Berlin.

1934 startete der junge Assessor als Rechtsanwalt in angesehenen Berliner Kanzleien. Nebenher erwarb er bei seinen Englandaufenthalten eine britische Zulassung (Barrister). Dem hochgebildeten und geistig beweglichen Moltke fiel die Jurisprudenz leicht, unabhängig seiner doppelten Belastung als Erbe der Gutsherrschaft. So mußte er das von seinem Vater heruntergewirtschaftete Kreisau vor dem Bankrott retten. Der junge Moltke zog die Kandare an, die Familie mußte beispielsweise das teuer zu unterhaltene Schloß verlassen und ins Berghaus – ein bescheidenes Altenteilerhäuschen – umziehen. Dort sollten 1942 und 1943 auch die drei großen Treffen des „Kreisauer Kreises“ stattfinden. 

Mit Kriegsbeginn wurde er der völkerrechtlichen Abteilung der Amtsgruppe Ausland/Abwehr unter Admiral Wilhelm Canaris zugeordnet. Dort bekam er Einblick in sonst verborgene Vorgänge, konnte sogar Kontakt zu alliierten Emissären – wie im Juli 1943 in der neutralen Türkei – aufnehmen und mußte erkennen, daß alle auch in Kreisau angestellten Hirngespinste wie ein „Überlaufen“ zu den Westalliierten, um den Krieg gegen die Sowjetunion zu bestehen, zum Scheitern verurteilt waren und es außer einem „unconditional surrender“ keinen außenpolitischen Spielraum mehr gab. Seine konspirativen Aktionen brachten ihn endgültig ins Visier der Gestapo, die ihn schließlich im Januar 1944 verhaftete.






Matthias Bäkermann, Jahrgang 1969, ist Chef vom Dienst bei der JF, zudem verantwortlich für die Ressorts Literatur sowie Geschichte & Wissen.