© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Unmittelbar nach Kriegsbeginn 1939 fand Ulrich von ­Hassell den Weg in den Widerstand. Bereits früh war er über den Völkermord in den besetzten Gebieten im Bilde.
Unabhängig denken
Alexander Graf

Das Leben Ulrich von Hassells zeigt, wie komplex die Wege der Widerständler sein konnten. Aus Sicht heutiger Zeitgenossen mag es unverständlich erscheinen, daß ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus, der seine Ablehnung des Regimes mit dem Leben bezahlte, zeitweise Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei war. Doch damit nicht genug.

Der 1881 in eine alte preußische Adelsfamilie geborene spätere Diplomat, der mit der Tochter des Großadmirals Alfred von Tirpitz verheiratet war, trat wie viele andere Deutsche 1933 in die NSDAP ein. Doch anders als viele der sogenannten Märzgefallenen, die kurz nach dem Reichstagsbrand im Februar des Jahres in die Partei eingetreten waren, wurde von Hassell erst im November Parteigenosse. Mochte dieser Schritt aus reinem Karrierekalkül oder aufgrund echter anfänglicher Begeisterung für Adolf Hitler nach dessen Regierungsantritt erfolgt sein, sein unabhängiges Denken bewahrte er sich. 

So sprach er sich gegen den 1937 geschlossenen Antikominternpakt zwischen dem Deutschen Reich, Italien und Japan aus. Zu dem Zeitpunkt war er ein erfahrener Diplomat mit langjähriger Auslandserfahrung, der seit den 1920er Jahren im Auswärtigen Amt tätig war. In der Folgezeit geriet er mit dem neuen Außenminister Joachim von Ribbentrop in Konflikt. Nicht zuletzt aufgrund dieser Differenzen wurde von Hassell 1938 von seinem Botschafterposten in Rom abberufen. 

Bereits in den Jahren zuvor war seine Abneigung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime gewachsen. Das war auch dem Außenpolitischen Amt (APA) der NSDAP unter der Leitung des Ideologen Alfred Rosenberg nicht verborgen geblieben. Immer wieder diskreditierte das APA ihn in Schreiben an die Staatsführung.

Nach Kriegsbeginn 1939 fand von Hassell den Weg in Widerstandskreise. Der Tübinger Corpsstudent vermittelte zwischen konservativen Oppositionsgruppen um den ehemaligen Leipziger Bürgermeister Carl Friedrich Goerdeler und den ehemaligen Generalstabschef des Heeres Ludwig Beck einerseits und den jüngeren Widerständlern im Kreisauer Kreis. 

Zwar war von Hassell politisch kaltgestellt, doch als Mitglied des Mitteleuropäischen Wirtschaftstags konnte er auch im Kriege noch Auslandsreisen unternehmen. Zudem war er durch seine Kontakte früh über den Völkermord in den besetzten Gebieten im Bilde. Über die Existenz von Gaskammern für den Judenmord notierte er im Mai 1943 in sein Tagebuch, die SS hause „in Polen weiter in unvorstellbarer beschämendster Weise. Unzählige Juden werden in besonders dazu gebauten Hallen vergast, jedenfalls Hunderttausende.“ 

Während seiner Auslandsreisen nahm er konspirativ Kontakt zu den Westalliierten auf, um zu erfahren, wie sie sich im Fall eines Staatsstreiches gegen Hitler verhalten würden. Die Kontaktaufnahme mit Großbritannien verlief für ihn ernüchternd. So mußte er erkennen, daß London den Krieg nicht beenden würde, falls Hitler abgesetzt sei, sondern erst nach der Zerschlagung des angeblich preußisch-deutschen Militarismus, zu dem auch von Hassell aufgrund seiner familiären Herkunft zählte. So kann es nicht verwundern, daß seine Idealvorstellung eines Deutschlands nach Hitler sich stärker am Kaiserreich orientierte als an der Weimarer Republik. 

Aufgrund seiner Erfahrungen im diplomatischen Dienst hatten die Verschwörer des 20. Juli 1944 von Hassell übergangsweise als Außenminister vorgesehen. Aber nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler geriet auch er in das Visier der Gestapo und wurde am 29. Juli verhaftet. Nach einem nur zweitägigen Schauprozeß verurteilte ihn der Volksgerichtshof unter dem Vorsitz Roland Freislers zum Tode. Zwei Stunden später wurde Ulrich von Hassell mit weiteren Widerständlern in Berlin-Plötzensee getötet.






Dr. Alexander Graf, Jahrgang 1983, studierte Neuere Geschichte in Paderborn und Marburg, bevor er 2014 in Graz zum Dr. phil. promovierte.