© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

SPD-Politiker Julius Leber pflegte eine enge persönliche Beziehung zu Stauffenberg. Die Inhaftierung Lebers verschärfte den Zeitdruck auf die Verschwörung des 20. Juli immens.
Die politisch stärkste Erscheinung
Herbert Ammon

Claus Schenk Graf von Stauffenberg wollte es nicht wahrhaben: „Wir brauchen Leber, ich hole ihn raus und ich hole ihn raus.“ Mit diesen Worten reagierte er auf Julius Lebers Verhaftung am 5. Juli 1944. Für die Zeit nach dem Umsturz war Leber von Carl Friedrich Goerdeler als Innenminister vorgesehen, von Stauffenberg als Reichskanzler. Durch die Inhaftierung aber verschärfte sich der Zeitdruck auf die Verschwörung des 20. Juli, ein weiterer Unsicherheitsfaktor kam hinzu.

Geboren als nichteheliches Kind im elsässischen Biesheim verdankte Leber dem katholischen Ortsgeistlichen den Besuch der Oberrealschule in Freiburg. Bereits zu Schulzeiten in die SPD eingetreten, meldete er sich nach ersten Semestern Nationalökonomie am 3. August 1914 als Kriegsfreiwilliger. Den Krieg erlebte er – zum Leutnant befördert, verwundet, mit EK II und EK I ausgezeichnet – an der West- und Ostfront. 

Nach Kriegsende weiter im Heer aktiv, eingesetzt zur Grenzsicherung in Westpreußen, schied er nach dem Kapp-Putsch aus. Er setzte das Studium in Freiburg fort, wo er mit einer Dissertation über „Die ökonomische Funktion des Geldes im Kapitalismus“ promoviert wurde.

Im März 1921 trat er in die Redaktion des sozialdemokratischen Lübecker Volksboten ein. Als scharfer Polemiker bei den Lübecker Arbeitern beliebt, gehörte er anfangs zu den radikaleren Elementen in der Partei. Mit der Wahl in den Reichstag 1924 legte er seine marxistische Rhetorik ab und trat als Experte in Wehrfragen hervor. 

Der Elsässer Leber bekannte sich zur 1848er Tradition der großdeutschen Linken. Den „vierten Stand“, die Arbeiterklasse, erhob er zum selbstbewußten Träger eines sozialen, demokratischen und wehrhaften Staatsgedankens. Wesensverschieden vom Nationalismus war für den großdeutschen Patrioten die „echte und wahre Form der Vaterlandsliebe“. Nicht von ungefähr war der „Volkstribun“ Leber bei den Nationalsozialisten verhaßt.

Kurz nach der „Machtergreifung“ geriet er in Lübeck in eine Schlägerei, bei der ein „Reichsbanner“-Mann einen SA-Mann tötete. Unter Mißachtung seiner Immunität als Reichstagsabgeordneter wurde er am 23. März 1933, vor der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz, in Berlin verhaftet. Wider Erwarten zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, verfaßte Leber in Haft eine Schrift über „Die Todesursachen der deutschen Sozialdemokratie“, worin er das politische Versagen seiner in Doktrinarismus und Apparat erstarrten Partei anprangerte.

Nach Strafverbüßung erwartete Leber 1935 an der Gefängnispforte die Gestapo. Der Weg führte ins KZ. Es folgten fürchterliche Mißhandlungen in Esterwegen und in Sachsenhausen. Nach mehrfachen Interventionen seiner aus bürgerlichem Hause stammenden Frau Annedore kam er im Mai 1937 frei. Durch Vermittlung Gustav Dahrendorfs arbeitete er anschließend in einer Kohlehandlung in Berlin-Schöneberg, geeignet für konspirative Zwecke.

Vom Winter 1938/39 datieren Lebers Kontakte zu Widerständlern wie Ernst von Harnack, Wilhelm Leuschner und Klaus Bonhoeffer. Im Herbst 1943 trat er dem aktiven Widerstand bei. Ende Dezember kam es zu einem ersten Zusammentreffen mit Stauffenberg. Daß aus dieser Begegnung des Aristokraten mit dem „Plebejer“ eine von beiden Seiten empfundene Freundschaft hervorging, gehört zu den bewegenden Nebensträngen der Tragödie des 20. Juli.

Am 20. Oktober 1944 stand Julius Leber zusammen mit Dahrendorf, Reichwein und dem Gewerkschafter Hermann Maaß vor dem Volksgerichtshof. In sicheren, ironischen Antworten widerstand er den Attacken Roland Freislers. Nicht zufällig bezeichnete der ihn als die „politisch stärkste Erscheinung“ unter den Verschwörern. Anders als die Mitangeklagten Reichwein und Maaß wurde er nicht bereits am selben Tage hingerichtet. Vermutlich wollten die Verfolger noch Aussagen aus ihm herauspressen. Leber wurde am 5. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee erhängt.






Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.