© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Jetzt oder nie
Christian Vollradt und Björn Harms

Henning von ­Tresckow blieb hartnäckig: „Das Attentat muß erfolgen, koste es, was es wolle. Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem der Staatsstreich versucht werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat.“ Mit diesen Worten appellierte er im Juni 1944 an Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die Umsturzpläne des militärischen Widerstands in die Tat umzusetzen, Hitler auszuschalten und die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft zu beenden. Einen Monat später war es soweit:

20. Juli 1944, 7 Uhr

Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg startet vom Flugplatz Rangsdorf bei Berlin aus mit seinem Adjutanten, Oberleutnant Werner von Haeften, ins Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ bei Rastenburg in Ostpreußen.

11.30 Uhr

Stauffenberg meldet sich beim Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel. Hier erfährt Stauffenberg, daß die heutige Lagebesprechung nicht wie üblich um 13.00 Uhr, sondern aufgrund des erwarteten Besuches von Bennito Mussolini bereits um 12.30 Uhr beginnt. Zudem findet sie im sogenannten Teehaus statt, nicht im üblichen Bunker.

12.30 Uhr

Die Mitverschwörer Hauptmann Ulrich-­Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld, Generaloberst Erich Hoepner sowie der Vize-Oberpräsident von Schlesien Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, Oberregierungsrat Peter Graf Yorck von Wartenburg, Eugen Gerstenmaier und Marineoberstabsrichter Berthold Schenk Graf von Stauffenberg treffen im Bendlerblock, dem Sitz des Befehlshabers des Ersatzheeres im Oberkommando des Heeres, ein.

12.30 Uhr

Stauffenberg und Haeften begeben sich unter dem Vorwand, sich für die Lagebesprechung bei Hitler frisch machen zu wollen, in das Zimmer von Keitels Adjutant. Der schwer kriegsversehrte Stauffenberg drückt die Säureampulle des Zeitzünders der Bombe ein und verstaut den Ein-Kilo-Sprengsatz in seiner Aktentasche. Stauffenberg und Haeften werden beim Scharfmachen des zweiten Sprengsatzes gestört, deshalb nimmt Haeften das zweite Sprengstoffpaket wieder mit. Stauffenberg stellt seine Aktentasche in der Nähe Hitlers, dem er über die Neuaufstellung von Ersatzformationen berichten soll, ab. Unter dem Vorwand, telefonieren zu müssen, verläßt er danach die Lagebaracke. 

12.42 Uhr

Die Bombe explodiert. General Günther ­Korten, Generalleutnant Rudolf Schmundt, Oberst Heinz Brandt sowie der Stenograf ­Heinrich Berger werden getötet, die übrigen 20 Personen in der Baracke werden verletzt. Hitler selbst kommt mit leichten Verletzungen am Bein davon. 

12.44 Uhr

Leutnant Erich Kretz chauffiert ­Stauffenberg mit seinem Adjutanten zur Torwache des Sperrkreises I. Aus dem fahrenden Wagen hat ­Stauffenberg den Eindruck: „Als ob eine 15-cm-Granate eingeschlagen hat! Da kann kaum noch jemand am Leben sein.“

13 – 13.15 Uhr

Nachdem Alarm gegeben worden ist, wird Stauffenberg an der Außenwache des Sperrkreises in der „Wolfsschanze“ festgehalten. Erst nach einem Telefonat mit der Kommandantur darf er passieren. Anschließend hebt die Maschine nach Berlin mit Stauffenberg und Haeften an Bord ab.

14 Uhr

Oberst Albrecht Ritter Mertz von ­Quirnheim alarmiert auf eigene Initiative die „Walküre“-Truppen in Krampnitz (Panzertruppenschule) und Döberitz (Infanterieschule). 

14 Uhr – 15 Uhr 

Die ersten Gerüchte, das Attentat sei mißlungen, verursachen im Bendlerblock allgemeine Unruhe. General Friedrich Olbricht will den Staatsstreich einleiten, wird aber von Generaloberst Friedrich Fromm zurückgehalten. Fromm telefoniert sofort mit Keitel im Führerhauptquartier und erhält die Antwort: „Was soll denn los sein? Es ist alles in bester Ordnung. Der Führer ist nur unwesentlich verletzt!“ 

14.30 Uhr

In Paris trifft die Nachricht vom Attentat auf Hitler und Bildung der Regierung Beck/Goerdeler ein. Stülpnagel nimmt die Dinge energisch in die Hand: Um 23 Uhr soll die Führung der SS und des Sicherheitsdienstes in Paris verhaftet werden. 

Gegen 15 Uhr

Stauffenberg und Haeften landen in Rangsdorf bei Berlin. Haeften gibt telefonisch die Nachricht „Hitler ist tot“ an die Verschwörer in der Bendlerstraße durch. Danach erst löst der zögerliche General Olbricht mit dem Stichwort „Deutschland“ die Alarmmaßnahmen nach dem „Walküre“-Plan aus. Der zum Widerstand gehörende Stadtkommandant von Berlin, Generalleutnant Paul von Hase, erteilt dem Kommandeur des Wachbataillons, Major Otto Ernst Remer, den Befehl, das Regierungsviertel abzusperren und Propagandaminister Joseph Goebbels zu verhaften.

16 Uhr – 16.30 Uhr

Stauffenberg erreicht den Bendlerblock und begibt sich mit General Olbricht zu Generaloberst Fromm. Auf den Einwand Fromms, Keitel habe berichtet, der Führer sei gar nicht tot, erwidert Stauffenberg: „ Der Feldmarschall Keitel lügt, wie immer, ich habe selbst gesehen wie man Hitler tot hinausgetragen hat.“ Doch er irrt: Später stellt sich heraus, daß ein Schwerverletzter mit dem Mantel Hitlers bedeckt wurde, ehe man ihn aus der Lagebaracke trug. Olbricht setzt Fromm darüber in Kenntnis, daß er und Stauffenberg das Stichwort für innere Unruhen an die stellvertretenden Generalkommandos gegeben haben. Fromm ist außer sich vor Wut. Nach einigem Hin und Her nehmen die Verschwörer den Generaloberst in Schutzhaft und sperren ihn in seinem Dienstzimmer ein.

18 Uhr

In Wien geht das erste Fernschreiben zu „Walküre“ ein. Befehl zur Festnahme der führenden NS-Parteifunktionäre sowie der höheren SS-Führer. Dies erfolgt (teilweise) gegen 20 Uhr. Zwei Stunden später wird der Alarm als Putschversuch erkannt. 

19 Uhr

Remer meldet sich bei Goebbels, der den Offizier telefonisch mit Hitler verbindet. Dieser unterstellt ihn sich persönlich und befiehlt, den Putsch niederzuwerfen. 

19.13 Uhr

Der Befehlshaber von Prag, Panzergeneral Ferdinand Schaal, spricht mit Stauffenberg. Der erklärt: „Der Führer ist tot, ich bin selbst dabei gewesen. Bisheriges und weitere Kommuniqués des Rundfunks sind falsch. Befohlene Maßnahmen gegen den Sicherheitsdienst sind beschleunigt durchzuführen!“

20.20 Uhr

Aus der „Wolfsschanze“ kommt der Befehl an alle Wehrkreisbefehlshaber: SS-Chef Himmler ist neuer Befehlshaber des Ersatzheeres, nur seinen Befehlen ist Folge zu leisten. 

21.15 Uhr

Der Rundfunk kündigt an, Hitler werde in Kürze eine Ansprache halten.

22 Uhr

In Paris werden die Polizei- und SS-Verbände widerstandslos entwaffnet. Nach dem Scheitern des Putsches wird dies als „Übung“ dargestellt. Stülpnagel wird nach Berlin befohlen. 

22.30 Uhr

Der bewaffnete Gegenstoß im Bendlerblock beginnt („Für oder gegen den Führer?“). Das Wachbataillon besetzt Teile des Gebäudes. Nur wenige jüngere Offiziere können fliehen. Generaloberst Fromm verurteilt Stauffenberg, Haeften, Olbricht und Mertz von Quirnheim wegen Hochverrats standrechtlich zum Tode.

21. Juli 1944, 00.10 Uhr 

Kurz vor Mitternacht stirbt Generaloberst Beck. Er hatte versucht, sich selbst zu erschießen; als dies nicht gelingt, wird ihm der „Gnadenschuß“ gegeben. Im Hof des Bendlerblocks werden Olbricht, von Haeften, Mertz von Quirnheim und Stauffenberg durch ein Sonderkommando exekutiert. Stauffenberg stirbt mit dem Ruf: „Es lebe das heilige Deutschland!

01.00 Uhr 

In der „Wolfsschanze“ trifft der aus dem 90 Kilometer entfernten Königsberg angeforderte Übertragungswagen des Rundfunks ein. Hitler wendet sich an die Öffentlichkeit: „Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen und mit mir den Stab praktisch der deutschen Wehrmachtführung auszurotten.“ 

10.00 Uhr 

Noch in der Nacht hat Generalmajor Henning von Tresckow vom Scheitern des Attentats erfahren. Um bei der erwarteten mit Folter verbundenen Untersuchung keine Kameraden zu verraten, entschließt er sich zum Suizid. Am Morgen des 21. Juli läßt er sich in die Nähe des polnischen Dorfes Ostrow an die Front bringen, fährt später weiter ins Niemandsland hinter die feindlichen Linien. Heiter plaudert er mit seinem Fahrer, dann steigt er aus dem Wagen aus und geht in ein Waldstück. Es fallen Schüsse. Wenige Sekunden später detoniert eine Granate.