© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Carl Friedrich Goerdeler war der Mittelpunkt eines weitverzweigten Netzwerkes konservativer oppositioneller Kräfte gegen den Nationalsozialismus. Den „Tyrannenmord“ jedoch lehnte er aus ethischen Gründen ab.
Geistige Gegnerschaft
Kirstin Buchinger

Carl Friedirch Goerdeler, 1884 in Westpreußen geboren, wächst in einer traditionellen preußischen Beamtenfamilie auf, obrigkeitsstaats- und kaisertreu. Nach dem Studium der Rechte schlägt er die Laufbahn eines Beamten mit ausgeprägter Expertise in Finanz- und Verwaltungsfragen ein. Im Ersten Weltkrieg dient er als Ordonnanz­offizier bei verschiedenen Stäben an der Ostfront. Nach dem für Deutschland verlorenen Krieg bestimmt das kollektive Trauma seiner Generation, Versailles und Weimar, sein politisches Denken. Nach Tätigkeiten in Kommunal- und Arbeitgeberverbänden wird er, mittlerweile Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei, 1930 zum Oberbürgermeister von Leipzig gewählt. 

Wie viele Konservative hat Goerdeler nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zunächst Hoffnung auf eine Revision der Versailler Bestimmungen und auf eine Wiederherstellung der Reichsgrenzen von 1914. Er distanziert sich jedoch zunehmend von der Politik Hitlers. Als die Nationalsozialisten im November 1936 die Entfernung des Denkmals für den jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy vor dem Leipziger Gewandhaus gegen Goerdelers Willen durchsetzen, reicht er, 52jährig, sein Pensionsgesuch ein. Er wollte, wie er später feststellt, „nicht die Verantwortung für eine Kulturschandtat übernehmen“. 

Nach seinem Rücktritt als Oberbürgermeister fungiert Goerdeler als Sonderbotschafter der Robert Bosch GmbH, für die er im Geheimen auf Reisen im In- und Ausland für eine Politik eintritt, die sich gegen den aggressiven Kurs Hitlers richtet. Während er den wahren Grund seiner Reisen vor den deutschen Machthabern verschleiern kann, gelingt es ihm nicht, im Ausland das nötige Gehör zu finden und die britische Regierung von ihrer Politik des Appeasements abzubringen.

Bei seiner Suche nach Verbündeten wendet er sich der Berliner Mittwochsgesellschaft zu, einem traditionsreichen Zirkel von liberalen und konservativen Persönlichkeiten der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens, der im Krieg zum Magneten für Kritiker und Gegner des Nationalsozialismus avanciert. Hier findet Goerdeler gedankliche Übereinstimmung, vor allem im Austausch mit Generaloberst Ludwig Beck.

Goerdeler erlangt so viel Autorität in den Kreisen des militärischen und zivilen Widerstandes, daß er als Kanzler einer künftigen Regierung anerkannt ist. Die Stellung des ehemaligen Oberbürgermeisters innerhalb des Widerstandes ist insofern bedeutsam, als daß er immer wieder bemüht ist, die verschiedenen Gruppierungen zu einer einzigen Bewegung zusammenzufassen. 

So verfügt er über Kontakte zu Sozialdemokraten wie Wilhelm Leuschner und ehemaligen Funktionären christlicher Gewerkschaften wie Jakob Kaiser. Zudem unterhält er Kontakte zum Kreisauer Kreis um Moltke und York und zum Freiburger Kreis um Eucken und Lampe. Bei Dissens in Detailfragen besteht Konsens in der Frage des allem übergeordneten Ziels: dem Sturz Adolf Hitlers und dem Ende des Krieges und des nationalsozialistischen Terrors. Ein Attentat auf Hitler – den „Tyrannenmord“ – lehnt Goerdeler aus Gründen christlicher Ethik jedoch ab.

Bereits vor dem 20. Juli wird er steckbrieflich gesucht. Es gelingt ihm unterzutauchen, während Mitverschwörer aus seinem Umfeld verhaftet und auch Angehörige seiner Familie nach dem 20. Juli in „Sippenhaft“ genommen und in Konzentrationslager verschleppt werden. Am 12. August 1944 wird Goerdeler in seiner westpreußischen Heimat erkannt, denunziert und verhaftet. Am 8. September 1944 verurteilt der Volksgerichtshof den Verschwörer zum Tode. 

Vor seiner Hinrichtung beginnt Goerdeler, die „Gedanken eines zum Tode Verurteilten über die deutsche Zukunft“ zu notieren, die sowohl seinen Glauben als auch tiefe Zweifel an einem Gott offenbaren, der „Ströme von Blut und Leid, Berge von Grauen und Verzweiflung über die Menschheit durch einige Hunderttausende“ brachte, „die geisteskrank und verblendet“ seien. Am 2. Februar 1945 wird der Kopf des zivilen Widerstandes nach unzähligen Verhören in Berlin-Plötzensee gehängt.






Dr. Kirstin Buchinger ist Expertin für die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und Biographin von Hitlers Kriegsminister Werner von Blomberg.