© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Dorn im Auge
Christian Dorn

Im BVG-Bus in Marienfelde gelange ich fahrplanmäßig in die Karwoche – an der Station Pilatusweg wirbt ein Plakat der Trabrennbahn für das Karfreitags-Derby. Solange läßt die „Denkerei“, die neuerdings heimatlose Institution des Kunstphilosophen Bazon Brock nicht auf sich warten. Daher hat Brock eine Woche vorher mit seinem „Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand mit Sitz in Berlin“ zunächst in die St. Matthäus-Kirche am Potsdamer Platz zur Diskussion über die Karfreitagsphilosophie geladen: angekündigt mit Fotos von Nägeln oder der Dornenkrone (Gestaltungsbüro Qart) mit dem provozierenden Titel „Karfreitagszauber/Lustmarsch“. Entsprechend paradox, aber befruchtend wirkt die Auseinandersetzung. Für Brock, der die gegenwärtige Beliebigkeitsformel „Toleranz“ attackiert, liegt die wahre Bedeutung von Toleranz doch darin, das eigene Leiden auszuhalten und dabei Lust zu empfinden. Daß „Gott eine Denknotwendigkeit“ bleibe, repräsentiere das eigentliche „Mirakel“. Erst wenn dieser im Menschen „installiert“ sei, werde letzterer unsterblich. Der katholische Philosoph Wilhelm Schmidt-Biggemann konzediert, daß wir „innerlich“ bereits auferstanden seien. Das hält die russische Philosophin Ekaterina Poljakova wohl für übertrieben, zumindest sei es ein „Märchen, daß Gott Mensch geworden ist“. Dabei verfehle die Rechtstheologie das notwendige Prinzip des Heils. Gastgeber Hannes Langbein, Pfarrer und Stiftungsdirektor von St. Matthäus, glaubt, daß Gott selbst zu töten nichts bringe, „weil er ja am dritten Tage aufersteht“.


Am vielversprechendsten, ja tröstlichsten erscheint der Vortrag des Literaturwissenschaftlers Bernhard Viel, aus dessen Sicht das Licht der Aufklärung die Welt verdunkele, da es das göttliche Licht verschatte. Denn das Licht der Aufklärung sei nichts anderes „als der eigene, menschliche Verstand, der sich in seiner Hybris zur allgemeinen Vernunft“ erkläre. Dabei verweist er auf den Dramatiker Johann Nestroy, demzufolge die Welt nach dem Mittelalter so erhellt worden sei, daß sich der Himmel verfinstert habe. Ohne Gnade und damit ohne den Geist Gottes sei keine Vernunft denkbar. Nicht zufällig seien die weltanschaulichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts ein Ergebnis der „Gottferne und Gottlosigkeit“. Dieser Zustand wird an der St. Matthäus-Kirche am Karsamstag enden, dann geht das den Chorraum verdeckende Astwerk im Osterfeuer auf. Derweil kündigt Bazon Brock die nächsten Termine zu „Ewigkeit & Alltag“ an (https://denkerei-berlin.de).