© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

Nach preußischem Vorbild
Nachruf: Der christlich-konservative Politikwissenschaftler Klaus Motschmann ist mit 82 Jahren verstorben
Rolf Sauerzapf

Es gibt nicht mehr viele christliche Konservative in Deutschland. Einer der bedeutendsten war der Berliner Politikwissenschaftler Professor Klaus Motschmann. Noch vor zweieinhalb Jahren feierten wir seinen 80. Geburtstag. Jetzt ist er am 9. Dezember nach längerer Krankheit verstorben. 

Am 4. März 1932 in Berlin zur Welt gekommen, verschlug es die Mutter 1943 mit ihm und seinen beiden jüngeren Brüdern – der Vater, ein AEG-Ingenieur, war im Jahr zuvor gestorben –  zunächst nach Petershagen bei Strausberg und später nach Thüringen. Dort erlebte er das Kriegsende und die Teilung Deutschlands. In einer Festschrift zu Motschmanns 75. Geburtstag heißt es zu diesem Lebensabschnitt: „Diese Kindheitserfahrungen blieben für Klaus wie für viele andere Jungen und Mädchen seines Alters zeit seines Lebens im Bewußtsein. Bombennächte, persönliche Verluste, Umzüge, wirtschaftliche Entbehrungen und das Wüten russischer Besatzer – dies alles konnte nicht die Hoffnung und den festen Glauben an eine bessere Zukunft zerstören“.

Nach dem Abitur studierte Motschmann ab 1952 an der Berliner Humboldt-Universität evangelische Theologie. Nach dem 17. Juni 1953 setzte er sein Studium in West-Berlin fort. Neben der Theologie waren es jetzt die Fächer Geschichte und Politikwissenschaft, die ihn faszinierten. 1969 wurde er von dem Historiker Walter Bußmann mit der Arbeit „Evangelische Kirche und preußischer Staat in den Anfängen der Weimarer Republik“ zum Dr. phil. promoviert. Von 1972 bis zu seiner Emeritierung 1997 lehrte Motschmann Politikwissenschaft an der Berliner Universität der Künste.

Theologie und Politik, Kirche und Welt – zwischen diesen beiden Polen und zuweilen im Spannungsfeld mittendrin bewegte sich das berufliche und gesellschaftliche Engagement des Lutheraners Motschmann. Davon zeugen auch seine in der Deutschen Nationalbibliothek verzeichneten Schriften, darunter „Sozialismus und Nation“ (1979), „Der Christ im gespaltenen Vaterland“ (1981), „Herrschaft der Minderheit. Die verratene Basis“ (1983), „Angst als Waffe“ (1985), „Politik in der Kirche“ (1988) und zuletzt 1990 „Mythos Sozialismus“. 1997 gab er im Leopold-Stocker-Verlag den Sammelband „Abschied vom Abendland? Die Moderne in der Krise“ heraus.

In seinen Studienjahren und der Dekade danach dominierten zunehmend die rebellischen Achtundsechziger das öffentliche Bewußtsein. Dies zeigte sich besonders in der Evangelischen Kirche unter Bischof Kurt Scharf, einem der heftigsten Vertreter der EKD-Ostdenkschrift, die „im vorauseilenden Gehorsam“ zum Verzicht auf die deutschen Ostgebiete aufgefordert hatte.

Als Widerstands- und Erneuerungsbewegung hatte sich in West-Berlin unter dem legendären Superintendenten Reinhold George, dem „geheimen Bischof der Konservativen“, eine „Evangelische Sammlung Berlin“ gebildet, in der sich Klaus Motschmann an führender Stelle engagierte.

Noch entschiedener konnte er in der 1967 gegründeten „Evangelischen Notgemeinschaft in Deutschland“ wirken. Als Schriftleiter der Zeitschrift Erneuerung und Abwehr und Ausrichter von zahlreichen Studientagungen spielte er eine wichtige Rolle im Lager der Christlich-Konservativen. Parallel dazu stand er der „Internationalen Konferenz bekennender Gemeinschaften“ mit zahlreichen Referaten zur Verfügung; zudem gehörte er dem Redaktionskreis ihrer Zeitschrift Diakrisis, was „Unterscheidung der Geistesströmungen“ meint, an. Hier gab es auch erste Ansätze zu einer konservativen „Bekenntnis-Ökumene“, die von dem Tübinger Theologen Peter Beyerhaus gegründet worden war. Auch das evangelikale Magazin idea spektrum schätzte die Beiträge von Klaus Motschmann. Er gehörte lange Zeit der Berliner Synode an und leistete Basisarbeit im Kindergottesdienst seiner Kirchengemeinde. Im Rahmen der Evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz beteiligte sich Motschmann an zahlreichen berufsethischen Lehrgängen und kirchlichen Tagungen.

In der Universität der Künste in Berlin war Professor Motschmann anerkannt und beliebt. Seine Studenten schätzten ihn wegen seiner Geradlinigkeit und Konsequenz ebenso wie seine Mitstreiter in der „Notgemeinschaft für eine freie Universität“. Dieser 1970 gegründete Zusammenschluß konservativer Professoren wehrte sich vor allem mit Dokumentationen gegen die kommunistische Unterwanderung der Berliner Hochschulen. Diffamierungen der „Antifa“ und Versuche, ihn mundtot zu machen, begegnete er gelassen und souverän.

Am überzeugendsten wirkte Klaus Motschmann in seiner Publizistik. Als Antwort auf die 68er-Revolte erschien ab November 1971 unter seiner Schriftleitung die Zweimonatsschrift Konservativ heute. Dafür hatte er einen Kreis von Publizisten gewonnen, die auch in Criticón veröffentlichten: Hans-Joachim Schoeps,

Hans-Georg von Studnitz, Otto von Habsburg, Konrad Loew, Lothar Bossle, Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Armin Mohler, Erik von Kuehnelt-Leddihn und Caspar von Schrenck-Notzing. Letzterer brachte ab 1970 Criticón heraus. Mit dieser bald führenden konservativen Intellektuellen-Zeitschrift fusionierte 1980 Konservativ heute. Klaus Motschmann blieb Redaktionsmitglied von Criticón. Seit Anfang der neunziger Jahre war er zudem der JUNGEN FREIHEIT verbunden (siehe nebenstehenden Beitrag). 2010 gehörte er zu den Erstunterzeichnern des „Manifests gegen den Linkstrend“ in der CDU. Erst seine Krankheit nahm ihm die Feder aus der Hand.

Mit Klaus Motschmann ist ein profilierter Vertreter eines christlichen Konservatismus verschieden. Wer ihn persönlich kannte, weiß um seine vornehme, stets bescheidene Art nach preußischem Vorbild. Er hinterläßt neben seiner Frau drei erwachsene Kinder und eine Schar von Enkeln. Sein Bruder Pastor Jens Motschmann wird am 20. Dezember die Trauerfeier halten. 






Dr. Rolf Sauerzapf, ein enger Weggefährte Klaus Motschmanns, war Kirchenrat und Dekan der Evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz.