© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Von Preußen und Elfen
Das Hobby der „Tabletops“ erfreut seit über 200 Jahren die Gemüter seiner Anhänger
Cassian Heidt

Die Halle des Feuerwehrhauses ist in das schummrige Licht der Neonröhren getaucht. Auch um halb zwei Uhr nachts ist noch keine Ruhe in den Raum eingekehrt. Zwischen Rucksäcken und halbleeren Pizzaschachteln ist gerade noch ein Durchkommen zur Mitte der Halle möglich, wo über kaum einsehbaren Tischen gebeugt Dutzende eifrig diskutierende Männer im Alter zwischen 14 und 45 stehen. Die Anzahl der langhaarigen Träger ausgeblichener schwarzer T-Shirts ist deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Frauen sucht man bis auf wenige Ausnahmen vergeblich. Ein Parteitag der Piratenpartei? Mitnichten!

Mischung aus Zinnsoldaten und Modelleisenbahnbau

In der umfunktionierten Halle findet ein Turnier der „Tabletop“-Spiele-szene statt und bietet die Möglichkeit, ein uraltes Hobby in neuer Gewandung zu erblicken. Tabletops sind hochkomplexe Strategiespielsysteme, bei denen ganze Armeen über einen mit kunstvollem Gelände ausgestatteten Spieltisch geschoben werden. Daher auch der Begriff Tabletop, was nichts anderes als Spielplatte bedeutet. Gespielt wird mit in der digitalen Welt schon fast anachronistisch anmutenden Mitteln: einem Zollstab für die Bewegung der kämpfenden Einheiten und Würfeln, um die Kampfkraft zu simulieren. Stundenlang wälzen die begeisterten Hobbyisten umfangreiche Regelwerke, allein die Zusammenstellung der richtigen Einheitenauswahl vor einem Spiel mag Neulingen als eine taktische Wissenschaft für sich erscheinen.

Auf den zweiten Blick sind Tabletops aber vor allem eines: eine Mischung aus Zinnsoldaten und Modelleisenbahnbau. Liebevoll werden die unbehandelten Zinn- oder Plastikfiguren stundenlang vor ihrem ersten Auftritt auf dem Spieltisch bemalt. Dabei werden auf den meist 28 bis 30 Millimeter großen Figuren noch die mikroskopisch kleinsten Details wie Augäpfel oder Bartschatten hervorgehoben. Die Schlachtfelder sind oftmals über zwei mal zwei Meter große Dioramen mit selbstgebauten Wäldern, Seen, Burgen oder ganzen Städten.

Die Produktpalette der unzähligen Spieleschmieden ist Legion und bietet für jeden Geschmack etwas. Der Anfänger steht vor der Qual der Wahl und kann sich zwischen Spielsystemen in der historischen Antike, Kreuzrittern und Samurai, Wehrmacht gegen Rote Armee sowie zahlreichen Fantasy- und Science-fiction-Welten entscheiden.

Der Branchenprimus ist das Fantasy-Tabletop „Warhammer“ des englischen Spieleherstellers Games Workshop, dessen Firmenjubiläum sich 2015 zum 40. Mal jährt. Seit 1983 kämpfen in der magischen Warhammer-Welt diverse Menschenvölker, Elfen und Zwerge einen tragischen Kampf gegen die korrumpierenden Kräfte des Chaos. Mit einem Umsatz von etwa 200 Millionen Euro ist der in Nottingham angesiedelte Tabletop-Entwickler längst mehr als eine kleine Nischenfirma für Nerds. Daß das mittlerweile börsennotierte Unternehmen eben auch nach einem ordentlichen Profit strebt und regelmäßig an der Preisspirale für neue Figuren dreht, die schon fertig ausgestaltet sind, stößt dem harten Kern der idealistischen Spielerschaft schon seit Jahren übel auf und sorgt für manche Verstimmung. Dennoch sind die limitierten Angebote der Engländer meist innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Games Workshop und seine Kunden sind so durch eine innige Haßliebe verbunden, die vielleicht gerade deswegen noch für ein langes Bestehen der Firma sorgen wird.

Der Urvater des Tabletops ist das preußische „Taktische Kriegsspiel“. Dort entwickelte der Hofkriegsrat Georg Leopold von Reiswitz als Reaktion auf die Niederlage des preußischen Heeres gegen Napoleon ein Simulationsspiel, um das strategische und taktische Denkvermögen der Offiziere zu steigern. Diese waren als Befehlshaber der Truppen eingesetzt und mußten in verschiedenen komplexen Szenarien ihre Kommandos geben. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. und sein Sohn Wilhelm I. sollen begeisterte Spieler gewesen sein. Ihr Spieltisch, eine Kommode genannt taktischer Kriegsspielapparat, befindet sich noch heute im Erdgeschoß von Schloß Charlottenburg.

Foto: Warhammer-Figürchen im Kampfgetümmel auf einem Spieltisch, dem „Tabletop“: Für die Turniere finden Frauen eher weniger Interesse

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