© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/14 / 09. Mai 2014

Etwas Frieden am Brandenburger Tor
Montagsdemonstration: Seit acht Wochen versammeln sich in Berlin Bürger, um etwas gegen die Krise in der Ukraine und für mehr Frieden zu tun
Henning Hoffgaard

Berlin am Montag abend. Seifenblasen fliegen vor dem Brandenburger Tor durch die Luft, die Menschen nehmen sich an den Händen, wippen langsam hin und her. Zwei junge Männer küssen sich. Die Sonne geht langsam unter. Es riecht nach Marihuana. „Frieden“, sagt eine ältere Frau und stimmt in den auf der Bühne gespielten Song ein. Dort rappt der Sänger „Photon“ gerade die Namen der „Kämpfer für die Freiheit“. John F. Kennedy, Gandhi, Martin Luther King, Rio Reiser, Bruce Lee, Michael Jackson, die Geschwister Scholl und natürlich Che Guevara. Es sind die Vorbilder der knapp 800 Zuhörer auf der achten Berliner Montagsmahnwache. In knapp 40 deutschen Städten, allerdings mit zum Teil deutlich weniger Besuchern, finden die Demonstrationen mittlerweile statt.

Worum es geht? Das weiß so genau niemand. Auf jeden Fall aber um mehr Liebe. Eigentlich waren die Mahnwachen vor acht Wochen ins Leben gerufen worden, um gegen einen drohenden Krieg in der Ukraine zu demonstrieren. Eigentlich. Viel geblieben ist davon nicht. „Jeder Tote ist zuviel“, sagt ein Besucher. Im Mittelpunkt stehen nun andere Dinge. „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ etwa. Pedram Shahyar hat Angst. „Ich will hier keine Nazis“, ruft er. Wenn diese ihm auf dem Heimweg auflauerten, nein, das sei nicht akzeptabel. Er gibt sich als Attac-Mitglied zu erkennen und betreibt eine Agentur für „emanzipatorische Inhalte“. Auf dem Tahir-Platz in Kairo will er gewesen sein und bei den Anti-Erdogan-Protesten in Istanbul.

Nun ist er in Berlin und wettert gegen die „Faschisten“ in der Ukraine. „Ich bin Demo-Profi. Wir brauchen eine starke Friedensbewegung“, denn „Eu-ropa führt einen Krieg gegen Flüchtlinge im Mittelmeer“. Einen Schuldigen hat er auch gefunden: den Kapitalismus. Denn Krieg sei „die Fortsetzung der kapitalistischen Logik“. Er hält inne, wirkt etwas traurig. „Wir müssen mehr reden. Wir brauchen mehr Solidarität mit den Schwachen.“ Lauter Applaus. „Eine Kultur der gewaltfreien Kommunikation.“ Andere Gedanken hätten auf der kleinen Bühne keinen Platz.

Die Rede läßt aufhorchen. Glaubt man der Berichterstattung der Medien der vergangenen Wochen, müßte hier jetzt eigentlich die „Neue Rechte“ stehen. Von der fehlt allerdings jede Spur. Statt dessen die Forderung nach einer „transnationalen Gesellschaft“. Jeder darf, wenn er möchte, reden. Das Mikrofon steht allen offen.

„Geht mal in den Wald“

Wer hört sich so etwas an? Es sind viele junge Leute gekommen. Neu-Hippies, die von einer alternativen Gesellschaft träumen und einige Alt-68er mit selbstbemalten Schirmen. Aber ebenso Familien mit Kindern. Auch Ahmed und Stefan sind gekommen. Beide Ende Zwanzig. „Wir werden von den Medien belogen“, sagt Ahmed. Er habe im Internet von der Mahnwache gehört und ist nun das dritte Mal hier. „Rechte“ hat er hier nie gesehen. „Notfalls machen wir hier noch zehn Jahre weiter.“ Sein Gesicht zeigt Sorgenfalten. „Die Regierung wird bald Störer einschleusen.“ Stefan nickt eifrig. Am Himmel taucht ein Helikopter auf. „So weit gehen die schon“, sagt ein Mann zu seiner kleinen Tochter. „Sie beobachten uns.“ Als sich der ADAC-Hubschrauber entfernt, entspannen sich seine Gesichtszüge.

Dann tritt Lars Mährholz auf die Bühne. Er ist der Guru der Bewegung. Anmelder der Demonstration und Moderator. Ein Satz ohne „Liebe“ und „nehmt euch an den Händen“ kommt ihm selten über die Lippen. An denen allerdings hängt das Publikum. „Wer die Zukunft gestalten will, muß in der Gegenwart damit anfangen.“ Jubel. „Wir sind alle Humanisten, die Frieden mit allen Nationalitäten wollen.“ Applaus. Lange Haare, schlaksige Figur und ein Headset-Mikrofon. Mährholz ist ein Entertainer. Auch wenn er die amerikanische Zentralbank Fed ins Visier nimmt. Ihr Geldmonopol sei ein Grundübel der Welt. Auch darin sind sich hier alle einig. Die Fed muß weg. Die „Hochfinanz“ steuere das Leben der Menschen, steht auf einem Schild. Politik und Presse in der Hand weniger Banker.

Der nächste Musiker kommt auf die Bühne. Seinen echten Namen nennt er nicht. „Ich denke nicht mehr in Rechts-Links-Kategorien“, verspricht er. Keine dreißig Sekunden später hat er sich in Rage geredet. „Wir müssen rechtes Gedankengut aus den Köpfen kriegen. Wenn die Rechten aufmucken, kommen die weg.“ Es denkt in ihm. „Rechte sind gegen den Frieden, deswegen kommen die nicht.“ Die Wut des knapp dreißigjährigen hat einen Grund: „Mein Vater wurde damals von der Hitlerjugend verprügelt.“ Schnell schiebt er hinterher: „Ich habe einen sehr alten Vater.“

Aber die Redner sind in den Augen vieler nichts gegen Ken Jebsen. Der wegen als antisemitisch kritisierten Äußerungen gefeuerte ehemalige RBB-Moderator ist der Star der Bewegung. Der Vordenker. Oben auf der Bühne, „über den Menschen“, will er nicht sprechen. So dringt nur seine Stimme aus den Lautsprechern. Jebsen hat Redebedarf. Von der Bundesregierung gestützte „Faschisten“ in der Ukraine, ein Aufruf an Soldaten und Polizisten, ihren Dienst zu quittieren, die Medienlügen, Fracking, Geldsystem und Fed, „taktische Waffen“, ein Plädoyer für ein Grundeinkommen, die Krise der Demokratie, die Gefahr durch den Euro, der Bürgerkrieg in Syrien, die Abschaffung der deutschen Rüstungsindustrie, deren Arbeiter in die regenerativen Energien geschickt werden sollen, Konsumverhalten und Burkina Faso. Der ehemalige Moderator peitscht sich durch die Themen, nie lang genug, um seine Zuhörer zu verunsichern. Eines ist ihm besonders wichtig: „Geht doch mal in den Wald“, schallt es aus den Boxen. Der sei ein Vorbild für die Menschen. Denn: „Ameisen führen keinen Krieg gegen Amseln“ und „Füchse streben nicht nach der Herrschaft“.

Nach einer Rede der britischen Ex-Agentin Annie Machon, die die Totalüberwachung durch die NSA geißelt, ist Schluß. Ein letztes Mal wird die „Hymne der Montagsmahnwachen“ gespielt. Eine letzte Huldigung an Che Guevara. Bis zum nächsten Montag.

Foto: Demonstranten machen mit Moderator Lars Mährholz das Friedenszeichen: Die Fed muß weg

 

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