© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Einschüchtern, beleidigen, lügen, ausschalten
Masseneinwanderung nach Europa: Die Affäre um den französischen Autor Richard Millet wirft ein grelles Licht auf den Umgang mit Kritikern der multikulturellen Gesellschaft / Angebliches Lob für den Massenmörder Breivik Anlaß für eine Hetzjagd
Alain de Benoist

Richard Millet wird seit langem zu den besten zeitgenössischen französischen Schriftstellern gerechnet. Jahrgang 1953, verbrachte er einen Teil seiner Kindheit im Libanon und kehrte während des Bürgerkriegs 1975/76 dorthin zurück, um auf christlicher Seite zu kämpfen. Seither gilt sein Engagement ausschließlich der Schriftstellerei. Insgesamt hat er über 40 Bücher verfaßt. Sein dreibändiger Essay „Le sentiment de la langue“, wurde 1994 mit dem Grand Prix de l’Essai der Académie française ausgezeichnet und trug ihm die Ehre ein, in das Lektorengremium des Prestigeverlags Gallimard berufen zu werden. Hier spielte er eine tragende Rolle bei der Veröffentlichung von zwei Goncourt-gekrönten Romanen, Jonathan Littells „Die Wohlgesinnten“ (2006) und Alexis Jennis „Die französische Kunst des Krieges“ (2011).

Was Millet von seinen Kollegen in der französischen Literaturszene unterscheidet: Er mag die „multikulturelle“ Gesellschaft nicht. Er mag sie immer weniger. Er unterstützt sie nicht, er identifiziert sich nicht mit ihr. Die Masseneinwanderung in die europäischen Staaten betrachtet er als Katastrophe, die ihn ins „innere Exil“ getrieben hat. Und er macht kein Hehl aus seinen Anschauungen. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er dazu ein Pamphlet mit dem Titel „La fatigue du sens“, dem nun Ende August mit „Langue fantôme“ und „De l’antiracisme comme terreur littéraire“ zwei weitere Essays folgten.

Diese Veröffentlichungen wurden mit einer Flut von Kritiken seitens der politisch Korrekten begrüßt, die sich zuvorderst auf ein kaum zwanzig Seiten langes Unterkapitel von „Langue fantôme“ stürzten. Dessen weniger provozierend als vielmehr ironisch gemeinte Überschrift, „Eloge littéraire d’Anders Breivik“ („Literarische Lobrede auf Anders Breivik“), wurde zum „Skandal“ stilisiert.

Innerhalb kürzester Zeit fand sich eine regelrechte Meute zusammen, die zur medialen Lynchjustiz rüstete. Bernard-Henri Lévy, Jean-Marie Le Clézio, Laure Adler und Tahar Ben Jelloun waren unter den ersten, die dabei ihre Stimmen erhoben. Am 11. September erschien in Le Monde ein Aufruf von Annie Ernaux, dem sich einige wenige bekannte Autoren und gut hundert mehr oder weniger Unbekannte anschlossen. Die Unterzeichner forderten den Boykott dieses „abscheulichen“, „ekelhaften“, „schandhaften“ Buches, „aus dem Menschheitsverachtung und eine Apologie der Gewalt spricht“. Premierminister Jean-Marc Ayrault gab sich „äußerst schockiert“. In Belgien ließ der Inhaber von Filigranes, der größten frankophonen Buchhandlung in Brüssel, sämtliche Bücher Millets an den Verlag zurückschicken.

Gleichzeitig wurde Druck auf Gallimard ausgeübt mit dem eindeutigen Ziel, Millet aus der „strategischen Position“ zu entfernen, die er dort einnimmt. Der Verlagsvorsitzende Antoine Gallimard hielt ihm lange stand, bis er dann doch nachgab. Am 13. September gab Richard Millet seinen Rücktritt aus dem Lektorengremium bekannt. Vorerst ist er weiterhin bei Gallimard angestellt, aber nun mit untergeordneten Aufgaben betraut. Damit hatte die Kabale ihr Ziel erreicht.

Zu diesem Zweck war jedes Mittel recht. Das Schlüsselwort „literarisch“ hat man mutwillig überlesen – so sprach Jürg Altwegg in Deutschland von „Richard Millets ‘Lob auf Breivik’“, und die taz schlagzeilte: „Millet lobt Breivik und verteidigt dessen Taten“, was offensichtlich eine glatte Lüge ist. Wer den Text gelesen hat, weiß, daß Millet die Morde auf der Insel Utoya darin mehrmals und unmißverständlich verurteilt.

Wer je ein Buch von Millet gelesen hat, weiß zudem, daß die rituellen Bezichtigungen des „Rassismus“, „Faschismus“ usw. vollkommen ins Leere treffen. Er distanziert sich ausdrücklich von „jeglicher Überlegenheit einer Rasse über eine andere“ und schreibt: „Die verschleierten muslimischen Frauen erscheinen mir anständiger als jene jungen Europäerinnen, deren Kleidung so vulgär ist wie ihre Sprache und ihre Umgangsformen.“ Dagegen entblödete sich ein Journalist des Nouvel Observateur nicht, Breiviks Morde auf die nordische Sagenwelt der „Edda“ zurückzuführen.

Warum also diese „literarische Lobpreisung“? Zur Bezeichnung einer Situation. Millet, der in Breivik einen „verhinderten Schriftsteller“ sieht, stellt eine Direktverbindung zwischen der Masseneinwanderung und dem Kulturschwund her, der zu einem totalen Verfall der Literatur geführt habe. Seine Liebe für die französische Sprache, sein Grauen angesichts ihrer Entstellung, bildet den Urgrund, dem seine Reaktion entspringt. Daher auch der Titel seines Buches: „L’antiracisme comme terreur littéraire“ – „Der Antirassismus als literarischer Terror“.

Breivik verkörpert aus seiner Sicht ein Europa, das seine Kultur und seine Identität verloren hat, ein „exemplarisches Produkt jener westlichen Dekadenz, die uns in Form des amerikanisierten Kleinbürgertums vor Augen tritt“, ein „Kind der Zerstörung von Familien ebenso wie des ideologisch-ethnischen Bruchs, den die Einwanderung von außerhalb Europas seit zwanzig Jahren nach Europa bringt“.

Millet ist kein Ideologe, sondern ein Schriftsteller. Seine Reaktion ist die Reaktion eines Schriftstellers. „Langue fantôme“ ist vor allem eine brillante Meditation über die Verarmung der Sprache. Millets Meinung nach besteht ein Zusammenhang zwischen der „programmierten Agonie der europäischen Kultur“, der Desintegration der Sprache und dem „Untergang der Literatur“. Die Masseneinwanderung beschleunige diese Zerstörung der Sprachstrukturen noch und mache Frankreich zur „literarischen Bananenrepublik“. Der Tod der Literatur sei darauf zurückzuführen, daß unsere Zivilisation sich ihres kulturellen Gedächtnisses entledigt habe.

Was den „Antirassismus“ selber angehe, so habe er den Kampf gegen den Rassismus längst aufgegeben, um zum bloßen Machtinstrument zu verkommen – oder zum Mittel, die eigene Karriere zu fördern. Er stelle, so Millet, den „terroristischen Arm des zeitgenössischen Nihilismus“ dar: „Der Rassismusvorwurf ist eine Kugel, die für den Nacken derjenigen bestimmt ist, die sich um die Wahrheit sorgen.“ Der Antirassismus sei gefolgt auf „die nationalsozialistische Krankheit und die kommunistische Neurose“. Sein Ziel sei die Einführung einer neuen Apartheid nach dem Gesetz der politischen Korrektheit. Zum „Rassisten“ werde erklärt, wer „sich der Einsicht verweigert, daß das globalisierte, kulturlose, verweichlichte, an der amerikanischen Subkultur, dem Konsum, dem Tratsch, dem endlosen Selbstgespräch des zum gesellschaftlichen und ontologischen Universalmodell gewordenen kleinbürgerlichen Narzißmus verblödete Individuum immer noch ein Mensch in dem Sinne ist, in dem uns die europäische Tradition das Menschsein gelehrt hatte“. Am Verfahren, so Millet weiter, habe sich „seit Goebbels und Berija“ wenig geändert: „dekontextualisieren, amalgamieren, extrapolieren, einschüchtern, beleidigen, lügen, ausschalten, um eine gefälschte Version der Wirklichkeit zu fabrizieren“.

„Ich hätte niemals damit gerechnet, mich eines Tages in meinem eigenen Land in der Minderheit zu befinden, geschweige denn als geschichtlicher Verlierer dazustehen, dem nahegelegt wird, meine Kultur preiszugeben, um mich besser an jene der anderen anzupassen“, sagte Millet gegenüber der Wochenzeitschrift Valeurs actuelles. In einem Interview mit L’Express äußert er Bedauern darüber, daß ihm „ganz im Gegensatz zu der Besinnung, die ich zu provozieren gehofft hatte“, stattdessen „Haß“ entgegenschlage, der zu einer „Menschenjagd“ eskaliert sei.

Die wenigen freien Denker, die es unter der französischen Intelligenzija noch gibt, haben Millet in Schutz genommen. Der Philosoph Alain Finkielkraut bezeichnete den Antirassismus als „Kommunismus des 21. Jahrhunderts“ und hat all jenen „die Solidarität gekündigt, die seine Haut fordern“. Elisabeth Lévy, Chefin der Zeitschrift Causeur, der Schriftsteller Renaud Camus und der ehemalige „Reporter ohne Grenzen“-Vorsitzende Robert Ménard erheben ihre Stimmen nachdrücklich gegen eine „Fatwa in Saint-Germain-des-Prés“. Pierre Assouline warnt vor einem „Ausschlußmechanismus“, der von Gesinnungswächtern in Gang gesetzt worden sei, die einen Schriftsteller wie einen Verbrecher behandeln.

Valeurs actuelles veröffentlichte am 6. September eine Sonderbeilage unter dem Titel „Les Lyncheurs“ („die Lynchmeute“). „Alle diejenigen, die sich zur Verteidigung der Freiheit bekennen, haben sich zu Erfüllungsgehilfen der Zensur gemacht, man möchte kotzen“, schreibt Elisabeth Lévy dort. „Seltsam, wie die Gutmenschen der Linken in letzter Zeit Zensur, Zurückweisungen, Entlassungen und Verbote lieben“, so Pierre Jourde.

Die Affäre Millet ist nur das jüngste Beispiel eines geistigen Unterfangens, das durch die „Gedankenpolizei“ gefährdet wird. Man fühlt sich in ein Zeitalter zurückversetzt, als Gustave Flaubert und Charles Baudelaire wegen der „Unsittlichkeit“ ihrer Werke „Madame Bovary“ und „Die Blumen des Bösen“ in die Mühlen der Justiz gerieten. Im Dritten Reich wurden politisch nicht genehme Bücher verbrannt. Allem Anschein nach haben die Führungseliten seither wenig dazugelernt.

Richard Millet: Langue fantôme: Essai sur la paupérisation de la littérature suivi de Eloge littéraire d‘Anders Breivik. Pierre-Guillaume de Roux Éditions, Paris 2012, broschiert, 16 Euro

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