© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Schwatzen ohne Erkenntnis
Ein zutiefst pessimistisches Menschenbild: Die Schriftstellerin Sibylle Berg wird am Samstag fünfzig
Ellen Kositza

Die Schriftstellerin Sibylle Berg erscheint als reichlich rätselhafte Person. Als gesichert gelten dürfte, daß sie am 2. Juni fünfzig Jahre alt wird. Daß sie 1962 in Weimar geboren wurde und ein paar Jahre vor dem Mauerfall die DDR verließ, daß sie seit Jahren in der Schweiz lebt.

Ob sie tatsächlich in der DDR Puppenspielerin war, später an einer Clownschule in die Lehre ging, als Ausdruckstänzerin reüssierte und als Tierpräparatorin arbeitete, wie einige der selbstgestrickten Legenden lauten? War ihre Mutter Alkoholikerin und hat sich das Leben genommen, oder starb sie bei einer Gasexplosion? Ist Sibylle Berg selbst einst unter Autoräder gekommen und konnte nur durch zahlreiche Operationen wiederhergestellt werden? Ist sie mit einem Mann verheiratet, wie es einigermaßen offiziell heißt, oder ist sie homosexuell, wie sie selbst – oder eines ihrer Rollen-Egos – jüngst andeutete? Ist sie magersüchtig, depressiv und zutiefst misanthrop, wie es nicht nur ihr künstlerisches Schaffen nahelegt, sondern auch gelegentliche Fernsehauftritte, bei denen sie mit ihrem Habitus zwischen Widerborstigkeit und Schüchternheit einem Wesen aus einer dezent anderen Sphäre gleicht? Oder dürfen wir uns die Autorin als bestgelaunten und umgänglichen Menschen vorstellen, worauf sie selbst allem Anschein zum Trotze beharrt?

Dürftige Kolumnen und Twittergewitter

Sibylle Berg hat auf die „große Diskrepanz“ zwischen ihrer Person und ihrem Werk hingewiesen. Nur, welcher Autor behauptet das nicht, und überhaupt: Welches der Berg-Werke wäre gemeint? Sie schreibt Kolumnen, twittert wie eine Besessene, ist – als Theaterverächterin! – mit ihren schwarzen Stücken wie „Missionen der Schönheit“ oder „Das wird schon. Nie mehr lieben!“ vielgespielte Dramatikerin, hat neun Prosastücke geschrieben und zwei Bücher (typischerweise Abschiedsbriefe von Männern und Frauen) ediert.

Wer bloß einen raschen Einblick ins Berg-Werk erhaschen möchte, könnte bequemerweise ein paar ihrer Kolumnen auf Spiegel online lesen. Dort unterhält sie eine regelmäßige Rubrik mit dem Titel „Fragen Sie Frau Berg“. Kein einziger dieser Texte lohnt die Lektüre. Aalglatte, unoriginelle Zeitgeistklagen über die ungerechte Herrschaft der Männer, Opferrollen der Frauen, über Nazis.

Ebenso dürftig ist ihr Twittergewitter, das sie unter dem mäßig verwegenen Profilmotto „Kaufe nix, ficke niemanden“ auf ihre Empfängergemeinde herabsausen läßt. „Kreiiiischhh!“ tönt es da, „kack Musikindustrie“ oder schlicht „Arschlöcher“, verbunden mit einem Link. Wäre man gütig und großherzig, und also veranlagt wie kein Mensch in Sibylle Bergs büchernem Werk, könnte man diese mediokren bis peinlichen Einlassungen als eigentliche Rollenprosa werten; allein deshalb, weil das Bild der zeternden Twitter- und Spiegel-Tante reichlich abweicht von dem der exzeptionellen Romanautorin.

Roger Köppel jedenfalls, dem Chef der Schweizer Weltwoche, waren solche Überlegungen wurscht. Nachdem Berg im April dieses Jahres das berüchtigte Titelbild des Magazins, einen Roma-Jungen mit einer Spielpistole „im Anschlag“ zeigend, per Twitter zitiert und dazu „neuer Stürmer“ kommentiert hatte, ging Köppel juristisch gegen Berg vor. Sie weigerte sich, eine entsprechende Unterlassungserklärung zu unterzeichnen und legte in der FAZ mit einem längeren Aufsatz nach.

Durch solch theatralisches Engagement ist die Schriftstellerin nicht bekannt geworden. Und doch ist das genau der Duktus, den sie selbst in ihren Büchern Frauen nach dem Hormonwechsel nachsagt: Die Stimme wird schneidend, das Keifen und unbedingte Besser-wissen-Wollen geht los.

Ja, womöglich wird eine spätere Germanistengeneration einmal zwischen der politischen und der literarischen Sibylle Berg unterscheiden; erstere als bedeutungslos klassifizieren und bei der Literatin eine nach Jahren fortschreitende Steigerung vermerken.

Aus Versehen Mensch geworden

Als 1997 Bergs erster Roman „Einige Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ erschien, war die sogenannte Popliteratur groß im Kommen. Die erbarmungslose Beobachtung jener hoffnungslosen Gestalten, die ihr Debüt bevölkerten, durfte sich einreihen in die Psychopathologie jenes munter dahinsiechenden „Faserlands“ (Christian Kracht) voller Leute, denen das Schicksal einerseits den Hintern gepudert hat, denen es andererseits außer einer trügerischen Hoffnung alles genommen hat. Sibylle Bergs traurige, bissige Stücke zu lesen über Menschen, die ihr tönernes Ego viel zu wichtig nehmen, ihr mickriges Stückchen Leben und besonders die Liebe grandios überschätzen, die Hormonwirkungen mit Charakter und Meinung mit Verstand verwechseln: Das ist wie ein wuchtiger Nachhall des Sounds, den einst misanthrope Aphoristiker wie Nicolás Gómez Dávila oder Schriftsteller wie Henry de Montherlant angestimmt hatten.

Das Alter von Bergs Protagonistinnen wächst im Schnitt parallel mit dem Alter ihrer Autorin. Die Lebensmüdigkeit nimmt zu, Gewaltexzesse und Gewaltphantasien nehmen ab, die Erfahrungen werden reicher und globaler, ohne daß sich das zutiefst pessimistische Menschenbild wesentlich ändert. Es wird geschwätzt ohne Erkenntnis, gekaut ohne Sättigung, verkehrt ohne Erfüllung, gereist („Die Fahrt“, 2007), ohne daß man je ans Ziel käme. Überall nur „Zellanhäufungen, die aus Versehen Menschen geworden waren und nicht damit zurechtkommen, daß sie denken und fühlen können“. Dann schreien sie und weinen, heben die Hände, es läuft ihnen aus der Nase, und sie schreien: „Warum? Warum ich?“, und „von oben raunt es: ‘Warum nicht?’“

Das ist das Grunddilemma, das Sibylle Berg, gott- und kinderlos („zu spät für eine Spätgeburt“), in all ihren Romanen (zuletzt hervorragend und voll schwarzer Romantik: „Der Mann schläft“, 2011) und Dramen variiert. Der Zyniker als ein Mensch, der, wenn er Blumen sieht, nach einem Sarg Ausschau hält (H. L. Mencken) – so wäre Sibylle Bergs Weltsicht und Haltung passabel beschrieben. Mit den vergleichsweise unschuldigen Geschwistern des Zynismus, der milden Ironie oder dem sich überlegen wähnenden Sarkasmus, gibt die Berg sich nicht ab. Ihre Welt ist tiefschwarz, ihre gesellschaftsscheuen Hauptfiguren erkennen sich selbst als nichtige, kümmerliche Existenzen, die allein mit dem Vorzug und Nachteil begabt sind, das Weltgeschwätz, all die Reden von Seelenverwandtschaft, von Toleranz, Mitleid und Modernität als Chimären zu entlarven. Rettung: nirgends, allenfalls eine leichte Entkrampfung, wenn „ich für eine Weile im Internet Filme ansah, in denen Frauen im Moor versanken“.

Bergs literarische Prosa vermag uns nicht zu erheben, sie drückt uns nieder. Damit ist nicht gesagt, daß sie unwahr wäre. „Glücklich zu sein hat mit Unwissenheit und Dummheit zu tun“, findet eine ihrer Figuren, die gemerkt haben, daß die großen Gefühle längst abgenutzt sind, und denen dennoch die Abgestumpftheit fehlt, sich damit abzufinden. Optimisten und heitere Naturen mögen sich bei solcher Lektüre grausen. Anders Gestimmte empfinden das Wühlen im Urschlamm als durchaus fruchtbar.

Foto: Sibylle Berg auf der Frankfurter Buchmesse (2007): Traurige, bissige Stücke über Menschen, die ihr tönernes Ego viel zu wichtig nehmen

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