© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Falsches Vorbild
Diskussion um Umbenennung: Ein nach Karl Liebknecht benanntes Gymnasium in Frankfurt (Oder) will über seinen Namen befinden
Ronald Berthold

Es war nur ein kleiner Initiativantrag, von dem die Öffentlichkeit kaum Notiz nahm. Die Linke in Frankfurt (Oder) beschloß auf ihrem Kreisparteitag am vorvergangenen Wochenende, sich dafür einzusetzen, daß das Gymnasium der Stadt den Namen Karl Liebknecht behalten soll. Lediglich die lokale Märkische Oderzeitung vermeldete mit einem einzigen Satz die Entscheidung, die die Partei gefällt hatte.

Warum, wieso, weshalb sich diese Frage überhaupt stellt – darüber blieb der Leser im unklaren. Dabei diskutiert das Umfeld des traditionsreichen Gymnasiums bereits seit dem Ende der Sommerferien intensiv darüber, sich von dem „belasteten“ Namen zu trennen. Inzwischen ist die Öffentlichkeit in die Befragung eingebunden worden, ohne daß die Medien über die Diskussion berichten. Bis zu diesem Dienstag hatten außerschulische Personen Gelegenheit, sich mit Hilfe eines auf die Internetseite der Schule gestellten Fragebogens an dem Prozeß zu beteiligen.

All das läßt aufhorchen. Der Name Karl Liebknecht soll belastet sein? In Brandenburg, wo immer noch Hunderte von Straßen und Plätze nach Kommunisten benannt sind, kommt das einer kleinen Sensation gleich. Bisher konnte die Linke als Lobby Umbenennungen vielfach verhindern. Oft erhielt sie dabei die Unterstützung der Sozialdemokraten. Der erste und langjährige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) nannte sein Bundesland mit Stolz und nicht ganz unbegründet „unsere kleine DDR“.

Erst vergangene Woche befand der Historiker Klaus Schroeder vom Forschungsverband SED-Staat, daß die belasteten Straßennamen „symptomatisch für den mangelnden Willen zur Vergangenheitsbewältigung in Brandenburg“ seien. Frankfurt (Oder) macht dabei keine Ausnahme. Hier ist sogar der SED-Funktionär und erste Frankfurter Nachkriegs-Oberbürgermeister, Oskar Wegener, Namenspatron für eine Straße. Und in der Stadtverordnetenversammlung stellt die Linke die größte Fraktion. Diese ist stärker als SPD und CDU zusammen.

Ein Liebling der Linken, die sogar ihre Parteizentrale in Berlin nach ihm benannt hat, steht nun aber in Frage. Karl Liebknecht, der übrigens keinerlei Bezug zu Frankfurt hat, soll nicht länger Namensgeber für das in diesem März hundert Jahre alt gewordene Gymnasium sein. „Auf Anregung ehemaliger Schüler hat sich die Schulkonferenz im April 2011 dazu entschlossen, mit Beginn des Schuljahres 2011/12 unter allen Mitgliedern der Schulgemeinschaft erneut die Positionierung zum Namen ‘Karl Liebknecht’ herauszufinden“, heißt es auf der Internetseite der Schule.

Alle Lehrer und Schüler wurden befragt. Die Ergebnisse liegen bereits vor, wurden von der Schulleitung aber noch nicht veröffentlicht. Sie sollen vorab noch mit den Schülern ausgewertet werden. Zusätzlich durfte sich die Öffentlichkeit beteiligen. Diese Anhörung endete Anfang dieser Woche und soll „Argumentationen zulassen, die in geeigneter Weise auch in der Schülerschaft thematisiert werden sollen“.

Mit dem Wechsel des Namens macht man es sich also nicht leicht. Dabei liegt ein zentrales Argument auf der Hand: Warum soll eine Schule nach einem Menschen benannt sein, der eine Revolte mit Todesopfern gegen die erste deutsche Demokratie entfesselte? Karl Liebknecht hatte 1918 zum Spartakus-Aufstand aufgerufen und wollte mit aller Macht freie Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung verhindern. Er wußte, daß er mit seiner von ihm proklamierten „sozialistischen Republik“ bei einer fairen Abstimmung keine Chance haben würde. Also griff er zu den Waffen – und wandte sich dabei nicht etwa gegen Monarchisten oder Nationalsozialisten, sondern gegen die von ihm verhaßten Sozialdemokraten Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann. Kann ein solcher Mann in einer demokratischen Gesellschaft als Namensgeber einer Schule und damit als Vorbild für Schüler dienen?

Würden die Linke und deren Anhänger die Diskussion nicht ideologisch aufladen, dürfte eine Umbenennung nicht ernsthaft in Frage stehen – zumal als Ersatzmann der in Frankfurt (Oder) geborene Dichter Heinrich von Kleist zur Verfügung steht.

In den Augen der Kommunisten wurde Liebknecht zum Märtyrer, weil er nach seiner Verhaftung gemeinsam mit seiner Genossin Rosa Luxemburg im Januar 1919 in Berlin-Tiergarten von rechten Freikorps-Soldaten ermordet wurde. Für Historiker Schroeder kann das kein Kriterium sein. Er geht sogar noch einen Schritt weiter. Mit Blick auf den in brandenburgischen Städten und Gemeinden ebenfalls omnipräsenten früheren KPD-Chef Ernst Thälmann stellt er klar: „Eine Ermordung durch die Nationalsozialisten reicht nicht aus, um jemanden direkt in den Heldenstand zu erheben.“

Für die sich inzwischen Linkspartei nennende frühere SED sind solche „Märtyrer“ bis heute identitätsstiftende Figuren. Insofern ist es spannend, zu welchem Ergebnis die Diskussion rund um das Frankfurter Gymnasium führt. Daß die Linke in ihrer Hochburg getreu ihrem Parteitagsbeschluß massiv auf die Pläne zur Umbenennung des Karl-Liebknecht-Gymnasiums Einfluß zu nehmen versuchen wird, wissen die Befürworter eines neuen Namens.

Mehr als zwanzig Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur kann die Oderstadt zeigen, wie sehr sie sich von der früheren Staatspartei emanzipiert hat. Vielleicht kommt auch ein Stein ins Rollen. In der deutschen Hauptstadt heißt eine wichtige Magistrale im Zentrum Karl-Liebknecht-Straße – und in Potsdam trägt das Fußballstadion den Namen des Bürgerkriegers.

Foto: Nach Karl Liebknecht (r.) benanntes Gymnasium in Frankfurt (Oder): Für die Linkspartei identitätsstiftend

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen