© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/11 / 28. Oktober 2011
Die Rückkehr des Feindes Nur wenige aktive Politiker reflektieren die Grundlagen und den Rahmen des politischen Handelns auf einem vergleichbaren Niveau wie der neue mecklenburg-vorpommersche SPD-Landesminister Mathias Brodkorb (siehe Seite 3). Sein Ausgangspunkt sind die sogenannten „Extremisten“, vor allem die von rechts. In mehreren Veröffentlichungen hat er sich mit ihnen beschäftigt, unter denen zwei herausragen: Erstens der schmale Sammelband „Extremistenjäger“ (Adebor Verlag, Banzkow 2011), dessen Titel sowohl den „Kammerjäger“ als auch die vergiftete Atmosphäre assoziiert, die ihr Jagdtrieb erzeugt. Wenn Brodkorb im Vorwort den „normativen staatspolitischen Vorrang“ anmahnt, den das Allgemeininteresse gegenüber der Parteipolitik haben müsse, dann ist das die vornehme Umschreibung dafür, daß es im „Kampf gegen Rechts“ nicht so sehr um die Demokratie, sondern um die Dominanz von links geht. Einen belastbaren normativen Demokratie-Begriff, von dem sich der politische Extremismus säuberlich scheiden ließe, legen weder Brodkorb noch die in dem Band versammelten Politikwissenschaftler und Publizisten (unter anderem Uwe Backes, Christoph Butterwegge, Eckhard Jesse, Henning Eichberg) vor. Golo Mann hatte in seiner „Deutschen Geschichte“ mit Blick auf die Weimarer Republik die Frage nach der geeigneten Demokratieform pragmatisch beantwortet: Vor allem muß das Staatsvolk sich im Grundsatz darüber einig sein, wie es leben will, die konkrete Ausformung ist dann sekundär. Wobei für Golo Mann das Recht auf die nationale Existenz so selbstverständlich war, daß er es nicht extra erwähnte. Aus der Erfahrung von 1933 hat die Bundesrepublik – so die offizielle Lesart – den Schluß gezogen, daß die Demokratie gegen Extremisten von links und rechts geschützt werden müsse: Die Benennung als „Extremist“ durch den Verfassungsschutz stellt eine der schwersten Sanktionen dar. Sie soll der Demokratie dienen, lädt erfahrungsgemäß aber zum Mißbrauch ein und führt zu Konformismus. Brodkorb hält daher wenig von der Extremismus-Theorie und Extremismus-Praxis, zumal letztere unsymmetrisch gehandhabt wird: Den Unterschied zwischen gewaltbereiten Aktivisten von links und rechts sieht der Greifswalder Politikwissenschaftler Hubertus Buchstein darin, daß die Linken möglicherweise überzeugte Anhänger „einer radikalen globalen Demokratie mit globalen Gleichheitsansprüchen und ökologischen Ambitionen“ sind und sie damit „im Kern“ die westliche Werteordnung in sich trügen – im Unterschied zum Globalisierungsgegner der NPD. Und falls sie in Wahrheit ein globales, quasi-kommunistisches Egalisierungskonzept verfechten? Soviel zur Dehn- und Brauchbarkeit deutscher Politikwissenschaft. Ihren blinden Fleck hat Brodkorb an anderer Stelle, in dem Aufsatz „Vom Verstehen zum Entlarven – Über ‘neu-rechte’ und ‘jüdische Mimikry’ unter den Bedingungen politisierter Wissenschaft“, indirekt thematisiert. Der Text ist abgedruckt im Jahrbuch für „Extremismus und Demokratie“ (Baden-Baden 2011). 1986 hatte Karlheinz Weißmann in einem Aufsatz für die Zeitschrift Criticón geschrieben, daß die deutsche Rechte jeweils entscheiden müsse, ob sie die Mimikry oder den offenen Angriff bevorzuge. Von diesem Satz, der nur die Selbstverständlichkeit besagt, daß man sein Handeln den jeweiligen Gegebenheiten und Kräfteverhältnissen anpassen müsse, nährt sich bis heute ein Großteil der politikwissenschaftlichen Zunft, die über die sinistren Pläne der deutschen Rechten sinniert. Brodkorb seziert den Mimikry-Begriff nach allen Regeln der Kunst: Zunächst anhand von Darwin, der damit die mimetische Angleichung im Kampf ums Dasein bezeichnete, dann anhand von Texten zur angeblichen „jüdischen Mimikry“, die ein Kernstück der nationalsozialistischen Weltanschauung wurde. Danach tragen die Juden einen unwandelbaren destruktiven Kern in sich, über den sie ihre „Wirtsvölker“ täuschen, um desto effektiver ihr Zersetzungswerk ausführen zu können. Gegenteilige Bekundungen fruchteten nichts: Die waren nichts weiter als – Mimikry! Der Jude wurde zum metaphysischen Wesen, zum Teufel gemacht, der immer wieder neu zu „entlarven“ war. Ist der Rechte als „metaphysischer Nazi“ und „geistiger Brandstifter“ heute tendenziell das, was der Jude ehedem als „Brunnenvergifter“ war? Einer der zitierten Stichwortgeber im Anti-Rechts-Diskurs jedenfalls meint ganz offen, man dürfe einen Neuen Rechten nicht nur danach beurteilen, was er geschrieben habe, „sondern auch nach Analyse seiner Auslassungen, also dessen, was er gerade nicht geschrieben hat“. Damit erhebt sich der Extremismus-Experte zum Träger einer höheren, unwiderlegbaren Einsicht und wird zum ideologischen Bürgerkrieger. Brodkorb: „Die politische Wissenschaft wird so zu einer politisierten Wissenschaft mit Feindsetzung.“ Brodkorb hat den Vorgang exzellent beschrieben, ohne ihn jedoch politisch und historisch-genetisch zu erklären. Mit dem metaphysischen Rechten, der angeblich Mimikry treibt, kehrt der „objektive Feind“ zurück, der zuerst während der Französischen Revolution auf die Bühne der Politik gezerrt wurde, um eine bestimmte Herrschaftspraxis zu rechtfertigen. Letztlich wird dem Rechten im Namen einer universalistischen Anmaßung die Formulierung eines deutschen Eigeninteresses verübelt. Die politische Wissenschaft in Deutschland ist ein Nachkriegsimport aus Übersee. Sie war von Anfang an auch eine politisierte Wissenschaft, weil sie eine Analyse der internationalen Machtverhältnisse und der eigenen Machtgrundlage nicht bloß unterließ, sondern sie unter Hinweis auf die „westliche Werteordnung“ blockierte und tabuisierte. So weit kann allerdings kein Politiker in seiner Kritik gehen, ohne sich unter seinesgleichen unmöglich zu machen. Und erst recht wird er dann kein Minister mehr. Foto: Rechts abbiegen verboten: Rechte müsse man auch danach beurteilen, was sie nicht geschrieben haben |