© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Vom Kopftuch bis zur Burka:
Verbieten? / Der Schleier als Menetekel
Karlheinz Weißmann

Der Schleier dient dazu, das Gefährliche zu verbergen. In den Hochkulturen des alten Orients verschleierte man Götter; und verbreitet war seit der Antike die Verschleierung der Frau. Bekannt ist, daß die Athener nach Einführung der Demokratie ihre Gattinnen im Haus festhielten, um sie von der Öffentlichkeit fernzuhalten und diese wie die Römerinnen einen Schleier als Zeichen des Anstands trugen. Das paulinische Gebot, daß sich die Frauen während des Gottesdienstes die Haare bedecken sollen, wurde bis ins 20. Jahrhundert in großen Teilen der Christenheit befolgt. In der Orthodoxie gilt es bis heute.

Hinter all dem steckt immer die Auffassung, daß die optische Wirkung von Frauen auf Männer eine heikle ist und dem durch das Verbergen am besten begegnet werden kann. Das heißt auch, daß man dem Verfahren eine gewisse Rationalität nicht absprechen kann, wenn man es als Versuch betrachtet, die Ordnung des Sexuellen zu wahren. Gerade in Teilen der islamischen Welt ist diese eine ausgesprochen rigide, so daß ein Kompromiß mit den heute im Westen umlaufenden Vorstellungen schwierig erscheint. Die gereizte Reaktion auf das Tragen von Kopf-, Gesichtsschleier oder  Taschador hat aber nichts mit europäischer Kleidungssitte oder Frauenbefreiung zu tun, eher mit der Wahrnehmung, daß jemand eine Ordnung in der Geschlechterbeziehung überhaupt für nötig, ja unumgänglich hält und Anstrengungen unternimmt, sie durchzusetzen oder zu erhalten.

Nur der allgemeinen Sprachverwirrung ist zu verdanken, daß es in Abwehr der Islamisierung sogar „konservative“ Stellungnahmen gibt, die nicht nur die sexuelle Befreiung verteidigen, sondern auch das Recht jeder Frau, sich in der Öffentlichkeit wie eine Hure aufzuführen und zu kleiden. Das abendländische, europäische, westliche „Wir“ scheint bloß noch darüber definiert, daß es keine Definition anerkennt, seine Identität besteht in einer rein formalen Bestimmung von „Freiheit“, ohne Inhalt.

Diese Position ist auf Dauer unhaltbar. Denn sie stellt den Endpunkt jener Entwicklungsmöglichkeiten dar, die ihren Ursprung in einem Pluralismus haben, der nicht aus einem Nebeneinander von kulturellen, religiösen, politischen Gemeinschaften besteht, sondern aus der Koexistenz von Individuen, die sich nach Belieben „erfinden“ können und ihre Chance im Sinn eines ungehemmten Individualismus nutzen. Faktisch beruht das Konzept auf zwei Denkfehlern: dem, daß diese Art gesellschaftlicher Organisation die einzige Alternative zum Totalitarismus sei, und dem, daß in jedem Menschen ein Weißer steckt, der auf Emanzipation aus ist. Solange man die Reste der alteuropäischen und der bürgerlichen Ordnung verzehrte, der Schock der Weltkriege und -revolutionen tief saß, die Erinnerung an das Chaos die Bereitschaft zur Zurückhaltung speiste und die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung aus Autochthonen bestand, konnte man an den Denkfehlern festhalten. Jetzt sind die Bestände aufgebraucht und es zeigt sich, daß das, was eben noch als Liberalismus wahrgenommen wurde, in autoritäre Anarchie umschlägt. Anarchie insofern, als kein Nomos mehr erkennbar ist und jeder meint, er könne tun, was er wolle, autoritär insofern, als die Herrschenden die große Illusion nähren, aber den wirklichen oder vermeintlichen Feinden der „offenen Gesellschaft“ nicht nur die übliche Freiheit vorenthalten, sondern auch bizarre Meinungsverbote und Kleiderordnungen aufzwingen, um die symbolische Infragestellung durch weiße Schnürsenkel etwa oder den Schleier zu unterbinden.

Das kann nicht gutgehen. Entweder werden die zentrifugalen Tendenzen so stark, daß das Gesamtsystem auseinanderfällt, oder die Anomie wird durch einen neuen Nomos ersetzt. Es ist bei dieser Erwägung an die Prognose des großen Orientalisten Bernard S. Lewis zu erinnern, der äußerte, es lohne schon gar nicht mehr, über Europa zu reden, das werde am Ende dieses Jahrhunderts „ein Teil des Maghreb“ sein.

Schwer zu sagen, ob die Europäer den Willen zur Selbstbehauptung aufbringen. In jedem Fall sollten die Warnungen vor dem, was kommt, drastisch sein, am besten optisch: halten wir uns nicht mit Nebensächlichkeiten auf. Die Verschleierung in jeder Form eignet sich hervorragend als Menetekel.

 

Dr. Karlheinz Weißmann, Jahrgang 1959, ist Historiker, Autor mehrerer Fachbücher und Leiter des Instituts für Staatspolitik. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über den Begriff des Konservatismus („Der konservative Ernstfall“, JF 40/10).

Foto: Die afghanische Burka verhüllt den ganzen Körper der Muslima: Im säkularen Europa gilt sie als Unterwerfungssymbol der Frau – allein in Frankreich schätzt man die Anzahl der Burkaträgerinnen auf bis zu 2.000

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