© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Quell des Lebens
Sauerstoffspender und Genpool: Die Uno hat 2011 zum „Jahr der Wälder“ erklärt
Günter Zehm

Zum Jahr der Wälder (International Year of the Forests) hat die Uno das Jahr 2011 erklärt, wohlgemerkt: nicht zum „Jahr des Waldes“, sondern ausdrücklich zum „Jahr der Wälder“. Es gebe nämlich gar nicht „den“ Wald, wird im Uno-Hauptquartier in New York erklärt, es gebe nur viele höchst unterschiedliche Biotope, die man recht pauschal unter dem Namen „Wald“ zusammenfasse. Zwischen einem tropischen Regenwald etwa und einem tropischen Trockenwald herrschten Unterschiede wie zwischen Tag und Nacht. Was für das Gedeihen des einen gut sei, könne für den anderen geradezu tödlich sein.

Faktisch alle Wald-Biotope freilich, so die Uno, seien „bedroht“, wenn auch aus teilweise ganz unterschiedlichen Gründen und in verschiedenen Ausmaßen. Am meisten bedroht seien zur Zeit die afrikanischen Trockenwälder oder Baumsavannen, Miombo genannt, und das sei eine direkte Folge menschlicher Landnahme und „Kultivierung“. Allein im Sudan wurden zwischen 1960 und 2010 durch gezielte „Kultivierungsprogramme“ an die 500.000 Quadratkilometer Trockenwälder abgeholzt und in Ackerland verwandelt, übrigens ohne daß die Siedler dauerhaft etwas davon gehabt hätten.

Vielmehr entfalteten nun, nach der Abholzung, die heißen Wüsten- und Savannenwinde eine verheerende Wirkung. Jegliche Krume wurde von den fruchtbaren Hängen weggeweht, der Boden insgesamt taugte bald nur noch als Weide, und den Rest besorgten die Weidetiere. Zuerst kamen die Rinder und hielten den Grasbewuchs so nieder, daß sich die Erosion rasant beschleunigte. Dann kamen wohl oder übel die Schafe und Ziegen und zerstörten endgültig, was von der Vegetation noch übriggeblieben war. Man wollte Ackerland gewinnen – und schuf am Ende nur unfruchtbare Steppen beziehungsweise nackte Wüsten.

Nicht viel besser steht es nach Auskunft der Uno mit den tropischen Regenwäldern in Brasilien und Indonesien. Hier ist es die Gier nach neuen, „modern-organischen“ Brennstoffen und Erdöl-Alternativen, die zu schier wahnwitzigen Verlusten führt. Im Zeichen des Kampfes gegen CO2-Ausstoß und „Klimaerwärmung“ erscholl ja allerorten der Ruf nach Benzin aus erneuerbarer Biomasse, etwa Palmöl, und alsbald begann man in den großen Schwellenländern, riesige Areale tropischen Regenwalds niederzubrennen und durch Palmölplantagen zu ersetzen – mit dem Ergebnis, daß heute durch Brandrodungen ungeheure Massen von Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen werden.

Als dritte extrem bedrohte Waldart neben Baumsavannen und tropischem Regenwald werden die einst ausgedehnten Mangrovenwälder in den Gezeitenzonen tropischer Küsten genannt – ohne daß man bisher die genauen Ursachen für die Verluste namhaft machen konnte. Die Flora der Mangrovenwälder beschränkt sich auf eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Arten mit speziellen Anpassungen an die schwierigen Lebensbedingungen dieses Biotops, wo sich Salz- und Süßwasser ständig miteinander vermischen und die Brandung nebst periodischen Überschwemmungen für zusätzliche Aufregung sorgt. Trotzdem sind gerade die Mangrovenwälder bekannt für zahllose Tierarten, die sich in ihren Wurzelgeflechten bergen und um die man sich jetzt Sorgen macht.

Weniger Sorgen muß man sich glücklicherweise offenbar um die nördlichen, speziell um die deutschen Wälder machen. Die vor Jahrzehnten erhobene Klage über den „sauren Regen“, der diese Wälder angeblich tödlich bedrohe, ist verstummt. Gut dreißig Prozent der deutschen Staatsfläche sind heute von Wäldern bedeckt, und der Bestand wächst kontinuierlich weiter. Pro Jahr kommen mindestens 3.500 Hektar hinzu; was durch Neubesiedlung verlorengeht, wird durch sorgfältige Wiederaufforstung mehr als ausgeglichen.

Allerdings weicht die Baumartenzusammensetzung erheblich von der potentiell natürlichen Zusammensetzung ab. Von Natur aus wären 67 Prozent der Landfläche Deutschlands von Buchenmischwäldern, 21 Prozent von Eichenmischwäldern, neun Prozent von Auwäldern oder feuchten Niederungswäldern, zwei Prozent von Bruchwäldern und ein Prozent von reinen Nadelwäldern bedeckt. Die jetzige Baumartenverteilung liegt bei 14,8 Prozent Buchen, 9,6 Prozent Eichen, 15,7 Prozent anderer Laubbäume, 28,2 Prozent Fichten, 23,3 Prozent Kiefern, 1,5 Prozent Tannen und 4,5 Prozent anderer Nadelbäume.

Der große Anteil von Fichte und Kiefer liegt in den forstwirtschaftlichen Praktiken der letzten 150 Jahre begründet: Diese Baumarten sind schnellwüchsig und anspruchslos und wurden daher zur Aufforstung von degenerierten Standorten wie Heiden, trockengelegten Mooren und übernutzten Niederwäldern insbesondere im 19. Jahrhundert verwendet.

Andererseits leiden besonders Fichtenbestände unter Wind- und Schneewurf sowie Insektenschäden (zum Beispiel durch Borkenkäfer) und führen leicht zu einer Versauerung der Böden. Man ist aber allerorten fleißig dabei, die alte Artenverteilung zumindest annähernd wiederherzustellen, und die Forstwirtschaft protestiert nicht dagegen.

Warum sollte sie auch? Es geht ihr ausgesprochen gut. Mit 3,38 Milliarden Kubikmetern weist Deutschland den größten absoluten Holzvorrat in Europa auf (Frankreich 2,98, Schweden 2,93 und Finnland 1,94); so lassen sich durchaus profitable Geschäfte machen. Außerdem war die deutsche Forstwirtschaft nie ausschließlich auf Profit orientiert, trotz der frühindustriellen Verheerungen im 19. Jahrhundert. Stets fühlte man sich auch und vor allem als Hüter und Beschützer des Waldes; für die Deutschen war der Wald niemals bloßes Nutzungsobjekt oder gar feindlich-bedrohliches Gelände, sondern immer Heimat, Lebenselixier und geistige Begegnungsstätte.

So kommt es nicht überraschend, daß man sich hierzulande beim Ausblick auf 2011 von der Uno gern daran erinnern läßt, daß wir Menschen alle von den Wäldern, in welcher Form auch immer, abhängen und tagtäglich für ihren Bestand Sorge tragen müssen. Sie sind die größte CO2-Senke, die sich überhaupt vorstellen läßt. Sie sind unabdingbare Sauerstoffspender und Chlorophyllfabrikanten. Sie wirken ausgleichend auf den globalen Stoffhaushalt, und ihr Artenreichtum ist nicht nur, wie uns die Ökologen versichern, ein unschätzbarer Genpool, sondern auch Ort ständiger Erkundung und Wissenserweiterung sowie unversiegbarer Quell von Freude und Erquickung.

Foto: Wald auf der zu Frankreich gehörenden Insel La Réunion: In Europa weist Deutschland den größten absoluten Holzvorrat auf

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